Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Überschwang zu einem Gesprächsthema geäußert hatte, das er bis jetzt zu vermeiden gewusst hatte. Mit zusammengepresstem Mund verschränkte er die Arme vor der schmalen Brust und lehnte sich zurück. Es sah so aus, als hätte er soeben beschlossen, kein einziges weiteres Wort mehr von sich zu geben.
Aber Doktor Pfeiffer genoss den Schlagabtausch offenbar. Belustigt zog er beide Augenbrauen hoch und meinte: »Es würde mich interessieren, von welchen gefährlichen Lehren Ihr sprecht. Ich habe mich heute Nachmittag bereits mit dem Rektor unterhalten und konnte keinerlei Gefahr erkennen. Außerdem bin ich grundsätzlich der Meinung, dass es für die Wissenschaft von Vorteil ist, wenn weder Religion noch Politik sich einmischen. Die Wissenschaftler sollten sich frei von konfessionellen und politischen Zwängen der Forschung widmen können.«
Jendrik Zajic zögerte. Jana sah an seinem leidenden Gesichtsausdruck, dass er mit sich kämpfte. Auf seiner hohen weißen Stirn bildeten sich Schweißtropfen. Schließlich siegte seine tiefe innere Überzeugung, und er rang sich zu einer Antwort durch: »Sagt Euch der Name Johannes Kepler etwas?« Er sprach so leise, dass nicht alle am Tisch ihn hören konnten. Aber Jana, die nah genug saß, verstand ihn.
Sie sah in das vertraute Gesicht, das sie seit Kindheitstagen begleitete und das ihr dennoch immer fremd geblieben war. Eigentlich hätte sie Jendrik hassen müssen, denn soweit sie sich zurückerinnern konnte, war er garstig zu ihr gewesen. Schon als Kind hatte er sie hinterhältig aus dem Gebüsch mit Schlammkugeln beschossen. Dabei hatte Jana immer gespürt, dass er lieber mit ihr und ihren Freundinnen am Moldauufer schöne Steine gesammelt hätte, anstatt sich mit Tomek im Schlamm zu wälzen. Jendrik hasste sie, dessen war sich Jana sicher, aber sie hatte nie herausgefunden, warum er eine so starke Abneigung gegen sie hegte. Irgendwann hatte sie es einfach akzeptiert.
Aber sie konnte seine heftigen Gefühle und die ablehnende Haltung nicht erwidern. Auf eine rational nicht erklärbare Art mochte sie den eigenartigen Jesuiten, der vor Jahren freiwillig zum Katholizismus konvertiert war. So wie eine Schwester einen missratenen Bruder mochte.
Der Arzt aus Wien holte sie aus ihren Gedankengängen zurück an den Abendessenstisch, als er gelassen erwiderte: »Ja, natürlich kenne ich den Namen Johannes Kepler. Er ist ein fabelhafter Mathematiker, genialer Physiker und Astronom.«
»Er ist ein Verrückter, der versucht, die christliche Weltordnung auf den Kopf zu stellen!«, zischte Jendrik leise und sah zu seinen Gastgebern hinüber. Onkel Karel und Tomek waren scheinbar nur mit ihren Bierkrügen beschäftigt, ohne dem Gespräch zu lauschen. »Kepler ist nur eines von vielen tragischen Beispielen. An der Universität gibt es zahlreiche andere Wissenschaftler, die der Irrlehre anhängen, die Erde sei rund. Und die sich mit Frauen einlassen! Männer der Wissenschaft werden von Frauen bloß abgelenkt, sie können sich nicht mehr auf das Wesentliche konzentrieren und entwickeln daher derart kranke Phantasien.« Es war nicht klar, ob Jendrik nur von Wissenschaftlern sprach oder eher Geistliche meinte. Oder von Männern im Allgemeinen? Für einen Moment hatte Jana das Gefühl, er spreche auch von ihr. Aber dieser Gedanke verschwand ebenso schnell, wie er aufgetaucht war.
»Es tut mir leid, ich kann Eure Meinung nicht teilen«, antwortete Pfeiffer in ruhigem Ton. »Ich habe in Padua mit Galileo Galilei diskutiert. Er unterstützt Kepler, auch wenn er selbst einen anderen Zugang zur Wissenschaft hat. Er hält Keplers Theorien über die elliptischen Laufbahnen der Planeten für gut begründet. Außerdem kann er sie mit seinen neuentwickelten, präzisen Fernrohren sogar beweisen. Es ist bloß noch eine Frage der Zeit, bis auch der Papst in Rom akzeptieren muss, dass die Erde rund ist und die Sonne den Mittelpunkt unseres Universums bildet. Und was die Frauen angeht …« Er schmunzelte. »Ich denke, dass so mancher Mann von einer Frau zu beflügelnden Gedanken inspiriert werden kann.«
»Da musst ich dem Arzt zustimmen«, mischte sich Tomek ein. Jana hatte sich geirrt, trotz seiner scheinbaren Geistesabwesenheit hatte Tomek dem Gespräch gelauscht. Er bedachte sie nun mit einem besitzergreifenden Grinsen, das ihr ganz und gar nicht gefiel. Dann klopfte er seinem Freund versöhnlich auf die Schulter: »Wir wissen alle, dass du keine Frauen haben darfst, deshalb sind wir dir auch
Weitere Kostenlose Bücher