Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
nicht.
»Hauptsache, du bist jetzt da«, sagte sie.
»Ist der Doktor aus Wien schon gekommen?«, fragte Pavlina neugierig.
»Welcher Doktor aus Wien?« Bedrich stieß sich vom Tresen ab und richtete sich auf. Er war groß und hatte breite Schultern. In wenigen Jahren würde er einen Bauch haben wie sein Vater und ihm zum Verwechseln ähnlich sehen.
In diesem Moment drehte der Fremde sich um und zog sich die Kapuze vom Kopf. Sein Haar war mindestens genauso schmutzig wie sein Mantel, man konnte die Farbe nur erahnen. Auch der Bart, der große Teile seines Gesichts bedeckte, war staubig und verklebt. Vielleicht war beides rotblond, Jana konnte es nicht erkennen. Der Mann richtete seinen Blick auf Jana, und sie wich überrascht einen Schritt zurück. Dabei stieß sie gegen ein Regal und war unendlich dankbar, dass keiner der ins Wackeln geratenen Behälter auf den Boden fiel. Es war die Augenfarbe des Fremden, die Jana irritiert hatte. Die Augen waren von einem so intensiven Blau, als hätte ein Künstler mit Indigo nachgeholfen. Spott und Überheblichkeit waren darin zu lesen, und beides galt ihr. Jana wusste, dass der Mann nicht nur die Gespräche belauscht, sondern im Spiegelbild des Glaskastens auch beobachtet hatte, wie sie Lindenblütenblätter statt Hühnerhaut unter die Medizin gemischt hatte.
Nun trat er auf sie zu, deutete eine spöttische Verbeugung an und stellte sich vor: »Mein Name ist Conrad Pfeiffer. Ich bin Doktor der Naturwissenschaften und der Medizin und hier, um eine Kammer zu besichtigen, die Ihr zu vermieten beabsichtigt.«
»Nicht ich«, verbesserte ihn Jana. Ihre Stimme klang so schnippisch, dass sie selbst darüber staunte. »Meine Tante will eine winzige Kammer unter dem Dach vermieten, nicht mehr als eine Nische mit einem Bett.«
Belustigt schossen die Augenbrauen des Arztes hoch. »Das klingt ja fast, als wolltet Ihr mich davon abhalten, die Kammer zu mieten.«
Jana zuckte mit den Schultern. »Macht Euch selbst ein Bild.«
»Dazu müsstet Ihr die Freundlichkeit haben, mir die Kammer zu zeigen.«
»Soll ich das übernehmen? Ich weiß, wo die Kammer ist«, fragte Bedrich.
Aber Jana schüttelte den Kopf. Sie kannte Radomila, die es nicht gutheißen würde, wenn ein Fremder den Arzt durchs Haus führte.
»Danke, Bedrich. Aber das ist nicht notwendig. Ich gehe schon.«
»Dann werde ich mich mal verabschieden«, sagte Bedrich mit Bedauern in der Stimme. »Mein Vater wartet sicher schon in der Küche auf mich. Ich habe gesagt, dass ich nur kurz weg sein werde. Begleitest du mich morgen zu einem Spaziergang?«
»Ich glaube nicht, dass Tante Radomila mich weglässt.«
»Übermorgen?«
»Vielleicht.«
Augenblicklich hellte sich Bedrichs Gesicht auf, er verließ gutgelaunt die Apotheke. Bevor er die Tür öffnete, sandte er Jana noch eine Kusshand. Eine Geste, die auch dem Doktor nicht entging.
Jana errötete und sagte zu Doktor Pfeiffer, ohne ihn dabei anzusehen: »Kommt mit. Wir müssen uns beeilen, ich bin heute allein in der Apotheke.«
Dann nahm sie einen Schlüssel aus der obersten Lade des Verkaufstresens und ging voraus, Doktor Pfeiffer folgte ihr. Er war mindestens einen Kopf größer als sie – was allerdings nicht besonders schwierig war.
Jana marschierte durch den Verkaufsraum und durch die Küche und nahm die knarrende Holztreppe nach oben in die Stube. Bevor sie den dunklen Holzboden betrat, warf sie einen vorwurfsvollen Blick auf die Stiefel des Doktors, von deren Sohlen bei jedem Schritt getrocknete Erde abbröckelte. Sicher musste sie hinterher aufwischen.
»Soll ich sie ausziehen?«, fragte er und verzog dabei einen Mundwinkel so, dass Jana nicht sicher war, ob er das ernst meinte. »Aber ich fürchte, dass ich dann eine Geruchsbelästigung darstelle. Ich habe mich seit drei Tagen nicht gewaschen und quasi auf dem Rücken meines Pferdes geschlafen.«
Jana hätte ihm gerne gesagt, dass er auch so eine Belästigung für die Nase darstellte. Ein scharfer Geruch nach Schweiß und Pferd ging von ihm aus. So sehr Jana angenehme Düfte mochte, so abstoßend fand sie unangenehme. Sie schüttelte den Kopf: »Nein, lasst die Stiefel an. Ihr könnt sie hinterher im Hof reinigen. Falls Ihr warmes Wasser braucht, könnt Ihr es Euch aus der Küche holen.«
»Besten Dank.« Der Arzt deutete eine Verbeugung an und folgte ihr durch einen kleinen Vorraum in die Stube.
»Hier essen wir«, erklärte Jana und zeigte auf den massiven Holztisch aus dunklem Kirschholz. »Frühstück
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