Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
so habe ich jahrelang in den Bordellen … na ja, du weißt schon …«, er beendete seinen Satz nicht. Und Conrad wollte auch keine Einzelheiten hören.
»Womit wirst du behandelt?«, fragte er.
Ferdinand machte eine abfällige Handbewegung. »Die übliche Tortur. Zuerst Quecksilber, was so schmerzhaft ist, dass ich freiwillig darauf verzichtet habe, dann dieses sündhaft teure Tropenholz aus der Neuen Welt. Aber es hilft auch nicht. Die richtige Medizin ist noch nicht gefunden worden, wir werden wohl noch ein paar Jahre darauf warten müssen. Und bis dahin wird es mich nicht mehr geben.«
Eine Pause entstand. Conrad nahm all seinen Mut zusammen, das anzusprechen, was ihm am Herzen lag: »Ich habe es nie geschafft, dir auf deinen letzten Brief zu antworten.«
»Ich weiß«, sagte Ferdinand milde. »Und ich bin dir deshalb auch nicht böse. Ich habe Wien gerade dann verlassen, als du einen Freund und Lehrer gebraucht hättest. Dass du dennoch deinen Weg gemacht hast, zeigt, wie stark du bist.«
»Leider nicht in allen Bereichen des Lebens«, seufzte Conrad.
Aber Ferdinand machte eine abwehrende Handbewegung: »Du hast Jana. Ich bin sicher, dass du von ihr lernen kannst, wie man verzeiht.«
Conrad starrte auf seine Hände, es war ihm unmöglich, dem Freund in die Augen zu sehen. Hatte Ferdinand immer schon so ein großes Herz, oder hatte die Krankheit und das Wissen, dem Tod sehr nah zu sein, sein Wesen verändert? Conrad wusste es nicht.
Nachdem sie beide eine Weile lang nachdenklich geschwiegen hatten, fand Conrad den Zeitpunkt gekommen, dem Freund von den beiden Büchern, den Reiseberichten, dem Muskelgift und den Landkarten zu erzählen.
Er winkte der Schankmagd und bestellte einen weiteren Krug Wein, dann holte er die Manuskripte aus seiner ledernen Umhängetasche und begann mit seinem ausführlichen Bericht. Mit jedem Satz, den er sprach, wuchs Ferdinands Aufmerksamkeit, bis der Freund schließlich völlig gebannt an Conrads Lippen hing.
Unterdessen war Jana zur Hauptstraße zurückgeschlendert. Sie ließ sich vom Strom der Menschen mitreißen und wurde schließlich durch ein imposantes Steinportal auf einen der großen Marktplätze der Stadt geschoben. Die Läden und Marktstände in Porto hatten sie bereits beeindruckt, aber das reichhaltige Angebot in Lissabon ließ ihr den Mund offenstehen. Fasziniert spazierte sie von einem Stand zum anderen und entdeckte immer wieder etwas Neues. Nie zuvor hatte sie so viele exotische Früchte und Gemüse gesehen, so viele fremdartige Gerüche geschnuppert und so viele farbenfrohe Stoffe angefasst.
Ihr war, als ginge sie durch eine völlig fremde Welt, die voll war mit Geheimnissen, von deren Existenz sie als Einzige in der Stadt nichts gewusst hatte. Immer wieder blieb sie stehen, hielt ihre Nase über Säcke voll Korianderkörner und Kardamom, Zimtrinde und Vanilleschoten, bestaunte kleine bunte Singvögel in zierlichen Käfigen und wunderte sich über die Vielfalt an großen Blumen in den ungewöhnlichsten Farben.
An einem der Stände kaufte sie frische Feigen und aß sie auf der Stelle. Die Früchte schmeckten süß, aber die winzigen kleinen Kerne blieben zwischen den Zähnen stecken und Jana musste versuchen, sie mit der Zunge zu entfernen.
Sie wunderte sich nicht, als sie den intensiven Duft von teurem Moschus wahrnahm, bestimmt kam er aus einem der vielen Verkaufsstände. Im Weiterschlendern lauschte sie auf die melodische, fremd klingende Sprache und bog dann in eine der Seitengassen ein. Nach dem Trubel des Marktplatzes war die Stille erholsam. Nur zu gern hätte Jana sich in einen der kleinen, schattigen Gärten gesetzt, die hinter den schmalen Häusern kleine Oasen der Ruhe bildeten. Aber leider durfte sie nicht ungefragt eindringen. Langsam ging sie weiter und bemerkte den Schatten nicht, der ihr folgte.
Vor einem niedrigen Durchgang blieb Jana stehen. Die Häuser waren hier so eng aneinandergebaut, dass die Balkone und Erker in den oberen Stockwerken der gegenüberliegenden Gebäude einander fast berührten und kein Sonnenlicht in die enge Gasse drang.
Gerade als Jana sich umdrehen wollte, um den Weg zurückzugehen, roch sie erneut den aufdringlichen Geruch von Moschus. In diesem Moment packte sie jemand von hinten, zog ihr mit einer groben Bewegung die Hände am Rücken zusammen und hielt ihr ein scharfes Messer an die Kehle. Jana konnte aus den Augenwinkeln sehen, dass der Arm, der sie wie eine Eisenklammer festhielt, in einer fingerlosen Hand
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