Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
schüttelte den Kopf. »Jana, du verstehst mich nicht. Ich habe mich wie ein trotzendes Kind benommen, das nicht imstande ist, über den eigenen Schatten zu springen. Als Ferdinand ging, hatte ich immer noch unter dem plötzlichen Tod meines Vaters gelitten. Als er weg war, hatte ich das Gefühl, völlig allein auf der Welt zu sein, und das wurde immer schlimmer. Lieber wäre ich gestorben, als Ferdinand nachzureisen. Und nun fürchte ich mich davor, ihm gegenüberzutreten. Das ist alles.«
»Es ist Grund genug, sich zu fürchten«, sagte Jana. »Er könnte zu Recht wütend auf dich sein.« Sie stand auf, legte die Arme um Conrads Hals und küsste ihn schnell. Das nahm ihm zwar nicht seine Bedenken, gefiel ihm aber dennoch.
»Denkst du, dein Ferdinand wird versuchen, uns die Reisetagebücher wegzunehmen, um das Rätsel allein zu lösen?«
Entschieden schüttelte Conrad den Kopf. »Nein, das würde er nie tun. Er ist kein Dieb und auch kein Betrüger. Die Sache mit dem Pergament war eine Notlösung, entstanden in einer weinseligen Nacht.«
Jana löste sich von Conrads Hals und überlegte einen Moment, dann sagte sie: »Warum gehen wir nicht einfach zur Universität und fragen bei den Studenten nach, ob ein Ferdinand Schratter hier unterrichtet? Wenn er tatsächlich in der Stadt ist, dann werden wir ihn aufsuchen und ihn bitten, uns alles über einen Schatz namens El Dorado zu erzählen.« Sie machte eine kurze Pause und fügte hinzu: »Und wenn er so ehrlich ist, wie du sagst, dann wird er das auch tun. Danach kannst du ihm vielleicht auch erklären, warum du dich nicht mehr bei ihm gemeldet hast.«
Conrad wiegte nachdenklich den Kopf. »Jana, es wäre so viel einfacher, die Sache auf sich beruhen zu lassen.«
»Ich weiß«, sagte Jana. »Aber wer behauptet schon, das Leben wäre einfach?«
»Niemand«, erwiderte Conrad seufzend und zog Jana noch einmal an sich. »Aber du hast recht, wir sind nach Lissabon gekommen, um etwas über El Dorado zu erfahren. Also machen wir es so, wie du vorschlägst.«
Jana ergriff Conrads Hand, und statt mit den vielen Menschen Richtung Markt zu ziehen, schlugen sie den Weg zur traditionsreichen Lissaboner Universität ein.
Es erwies sich als sehr leicht, Ferdinand Schratter zu finden. Conrad fragte einen der Studenten, die unter einem Baum im Schatten lagen und über ein spannendes Thema aus dem Unterricht diskutierten, nach Ferdinand, und der junge Mann, ein hübscher Bursche mit rabenschwarzen Locken und dunkelbraunen Augen, deutete auf eine kleine Taverne, die sich auf einer leichten Anhöhe direkt hinter der Universität befand.
Falls Conrad nervös war, so überspielte er das gekonnt. Entschlossen ging er auf die Taverne zu und erkannte den alten Lehrer und Freund sofort: Ferdinand saß unter einer ausladenden Zypresse und las in einem Buch. Vor ihm standen ein leerer Teller und ein halbvoller Becher Rotwein. Als er Conrads Stimme hörte, riss er überrascht den Kopf hoch, legte das Buch zur Seite und sah Conrad so ungläubig und fassungslos an, als wäre er ein Gespenst. Doch im nächsten Moment wandelte sich seine Miene und zeigte nur noch pure Freude. Der dürre Mann sprang so eilig auf, dass er seinen Becher umwarf, und der kostbare Wein floss über den Tisch und versickerte im kiesbedeckten Boden.
»Ewig schade«, meinte Conrad statt einer Begrüßung und sah der Flüssigkeit nach, wie sie zwischen den kleinen Steinchen verschwand.
Ferdinand achtete gar nicht auf den verschütteten Wein. Er breitete die Arme weit aus und umarmte Conrad stürmisch. Dabei sah Jana, dass der Freund Conrad gerade bis zur Schulter reichte.
»Das ist vielleicht eine Überraschung!«, rief er. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich mich freue, dich zu sehen.« Er machte einen Schritt zurück und musterte Conrad: »Gut siehst du aus. Das blühende Leben.«
»Danke! Du …« Nur zu gern hätte Conrad das Kompliment erwidert, aber seit er Ferdinand das letzte Mal gesehen hatte, war der Freund geradezu in sich zusammengefallen. Er war mager, buckelig und seine Gesichtsfarbe grau und ungesund, und obwohl er nur ein paar Jahre älter als Conrad war, ähnelte er einem Greis.
»Setz dich«, unterbrach ihn Ferdinand und nickte. Er wusste vermutlich sehr gut, dass man auch ohne Medizinstudium erkennen konnte, wie krank er war. Allein seine Augen wirkten jugendlich, wach und neugierig sah er Conrad an. Jetzt erst bemerkte er Jana.
»Du hast jemanden mitgebracht. Ich nehme an, das ist deine
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