Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
recht gehabt mit ihrer Vermutung. Doktor Pfeiffer sollte teure Medikamente verschreiben, die Radomila dann verkaufen wollte.
»Jendrik Zajic meint, der Mann sei gefährlich, weil er gottlose Theorien unter den Studenten verbreitet«, sagte Tomek.
»Zajic ist ein Narr. Seine Vorstellungen von Gott können sich wohl kaum mit deinen decken. Er ist Jesuit und papsttreu. Vergiss das nicht.«
»Zajic ist Katholik, aber er ist kein Narr. Ganz im Gegenteil. Er ist ein kluger Mann. Außerdem ist er mein bester Freund. Er hat mir geraten, den Arzt davonzujagen.«
Radomila schnaufte laut und empört. »Ich pfeife auf solche guten Ratschläge, ich weiß selbst, was gut für uns ist. Und was die Studenten an der Universität betrifft, so lass sie die Sorge der Rektoren sein. Alles, was uns interessiert, ist, ob Pfeiffer seine Miete rechtzeitig bezahlt. Und da er mir gestern bereits im Voraus das Geld für die ersten drei Monate gegeben hat, wird er mindestens so lange hier wohnen.«
Die Katze wurde nun so ungeduldig, dass sie Jana kratzte und laut miauend auf den Boden sprang.
»Was war das?« Radomilas Schritte näherten sich der Treppe, und Jana machte rasch einen Satz zurück, damit die Tante nicht bemerkte, dass sie gelauscht hatte. Sie steckte ihren zerkratzten Finger in den Mund und schleckte das Blut ab.
»Jana!« Radomila stemmte beide Hände in die breiten Hüften. »Ich dachte, du bist schon längst auf dem Markt. Oder bist du schon wieder zurück?«
»Äh … nein. Ich …« Jana wollte nicht zugeben, dass sie verschlafen hatte. »Ich habe endlich die Flickarbeiten erledigt und werde jetzt auf den Markt gehen.«
»Welche Flickarbeiten?«
»Mein blaues Kleid hatte einen Riss.«
»Und den musstest du jetzt reparieren?« Radomila musterte sie misstrauisch.
»O ja! Du kennst mich doch. Wenn ich es nicht gleich mache, vergesse ich es, und dann laufe ich mit einem riesigen Loch herum. Wo ist die Einkaufsliste?«
»Die habe ich dir gestern schon gegeben.«
»Ah, ja!« Jana überlegte fieberhaft, wo sie die Liste hingetan hatte. Vielleicht lag sie im Einkaufskorb?
»Und vergiss den Honig nicht. Er ist schon wieder fast leer. Ich muss mal ein ernstes Wort mit Pavlina reden. Das Mädchen darf nicht so viel naschen.«
Bevor Jana rot werden konnte, drängte sie sich an ihrer Tante vorbei. Sie betrat aber nicht die Küche, wo immer noch Tomek saß und gerade sein Frühstück beendete, sondern ging hinaus in den Hof, wo sie sich rasch das Gesicht wusch. Dann betrat sie über den Vordereingang die Apotheke. Auf einem Hocker stand der Korb, und zum Glück lag die Einkaufsliste darin.
Wenig später drängte sich Jana durch die bunte Menschenmenge am Staromestske namesti, dem ältesten und größten Markt Prags. Er befand sich auf einem weiten, mit Pflastersteinen ausgelegten Platz, der zu allen Seiten mit prachtvollen Wohnhäusern wohlhabender Bürger eingefasst war. Herrlich verzierte Mauern, bunt bemalte steinerne Blütenranken und kunstvoll geschmückte Erker zeugten vom Reichtum ihrer Besitzer. Wer hier wohnte, gehörte in Prag zur besten Gesellschaft.
Schon bei Morgengrauen hatten Händler und Marktfrauen damit begonnen, ihre hölzernen Stände aufzubauen, um frisches Gemüse, getrocknete Bohnen und Linsen, Kräuter, Wurst, Speck und Käse zu verkaufen. Viele von ihnen waren aus den umliegenden Dörfern gekommen, auch Bauern waren darunter. Neben ihren einfachen Tischen gab es noch die Läden der Kaufleute, kleine Verkaufsräume in den reichgeschmückten Häusern. Davor befanden sich aufklappbare Verkaufsläden, die beladen waren mit Gewürzen aus fernen Ländern, kunstvoll verarbeiteten Stoffen und feiner Spitze aus Flandern.
Nun feilschten gewissenhafte Hausfrauen mit den Standbesitzern um faire Preise, und gehetzte Mägde schleppten volle Einkaufskörbe. Jana ließ sich erst ein wenig treiben, dann blieb sie vor einem ihrer Lieblingsstände stehen. Hier gab es stets das süßeste Obst. Leider waren zu dieser Jahreszeit noch keine Früchte reif. Aber auch getrocknet waren die Äpfel und Birnen der Marktfrau mit Abstand das Beste, was Jana sich in ihrem morgendlichen Hirsebrei vorstellen konnte. Die saftigen getrockneten Zwetschgen, aus denen böhmische Hausfrauen das duftende Powidlmus kochten, sahen besonders köstlich aus. Daneben lagen Jungzwiebeln, die nicht nur überdurchschnittlich groß, sondern auch recht preisgünstig waren.
»Ich nehme zwei Bund Zwiebeln«, sagte Jana und griff unter ihre Schürze,
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