Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Mann mit rotblondem Haar und auffallend blauen Augen aus der Menge – der Arzt aus Wien. Er ging auf die beiden Kontrahentinnen zu und räusperte sich, bevor er sprach. Seine Stimme war klar und so laut, dass alle, die sich um den Stand drängten, sie gut hören konnten: »Vielleicht kann ich helfen. Ich bin Arzt und Gelehrter. Ich unterrichte an der Universität Anatomie. Worum geht es?«
Angesichts der unerwarteten Hilfe atmete Jana auf. Es war beruhigend, der Menge nicht mehr allein gegenüberzustehen. In ihrer Erleichterung war sie gar nicht überrascht, dass Conrad Pfeiffer Tschechisch sprach, und das nicht einmal schlecht.
Die Kesselflickerin fasste aufgeregt noch einmal alles zusammen, und Doktor Pfeiffer lauschte so interessiert, als hörte er die Geschichte zum ersten Mal. Dabei war Jana sicher, dass er das Geschehen bereits gestern genau beobachtet hatte.
»Euer Mann leidet also an der Seitenkrankheit?«
Die Kesselflickerin nickte eifrig. Eine kleine alte Frau, die sich neben sie drängte, schüttelte mitleidig den Kopf und meinte: »Der wird sterben, ganz egal, was für eine Medizin er bekommt. Das war bei meinem kleinen Malek auch so. Erst Schmerzen, dann Fieber und weg war er.«
Einige der Umstehenden murmelten Zustimmung, andere zeigten empörte Mienen. Conrad Pfeiffer räusperte sich noch einmal lautstark, und alle sahen gebannt den Arzt an, dessen Meinung in diesem Fall von Wichtigkeit war.
»Die Seitenkrankheit ist eine ernstzunehmende schwere Erkrankung. Solange der Patient kein Fieber hat, kann Schonkost helfen. Schweineschmalz ist allerdings ganz sicher nicht dienlich. Ich nehme an, dass der Kollege, der das Rezept geschrieben hat, aus Versehen einen bedauerlichen Fehler begangen hat und mir beipflichten würde.«
»Wer war denn der Arzt?«, schrie ein Mann mit dunkler Stimme aus der zweiten Reihe.
»Doktor Smecal.«
Der Mann drängte sich mit Hilfe seiner Ellbogen nach vorne und streckte verärgert die geballte Faust in die Höhe. »Das ist der verdammte Katholik, der auch meiner Frau eine falsche Medizin verschrieben hat! Ich habe mit dem Lohn eines ganzen Monats bezahlt, und das Fieber meiner Frau ist immer höher gestiegen. Der Mann ist ein Quacksalber, der sich auf Kosten armer Leute bereichert.« Sein wettergegerbtes Gesicht verriet, dass er im Freien arbeitete.
»So sind die Katholiken. Dieses habsburgertreue Gesindel!«
»Raus mit ihnen aus Prag!«
»Jawohl!«
Mit einem Mal war die Stimmung umgeschlagen, der Zorn der Menschen galt jetzt dem König und seinem Cousin, dem Kaiser. Und den katholischen Bürgern Prags.
Jana blickte sich irritiert um. Was sie sah, waren empörte Menschen, die in die zornigen Rufe einstimmten. Woher kamen die heftigen Gefühle der Menschen so plötzlich? Hass und Zorn waren so stark, dass man sie hätte greifen können. Auch wenn die aufgeheizten Wortmeldungen sich nun nicht mehr gegen sie richteten, sondern gegen die Katholiken, geriet Jana in Panik. Die Kesselflickerin, die selbst Katholikin war, war verstummt und hatte sich schweigend zurückgezogen. Und Jana wusste, sie selbst verdankte es nur der zufälligen Tatsache, dass sie Protestantin war, wenn sie hier ungeschoren davonkam.
Conrad Pfeiffer sah sich kurz um und reagierte blitzschnell. Er packte Jana an der Hand und drängte sie aus der immer wütender werdenden Menge.
»Kommt«, sagte er und zog sie entschlossen mit sich.
Bereitwillig blieb Jana dicht bei ihm. Hinter ihnen auf dem Platz wurden die Menschen immer lauter. Jemand schimpfte schrill über den unfähigen Arzt, immer weitere Geschichten wurden in die Menge gebrüllt und verschiedene Stimmen verlangten lauthals nach Vergeltung. Plötzlich kannte offenbar jeder einen Katholiken, der unsaubere Geschäfte trieb und sich auf Kosten von Protestanten bereicherte. Die ersten faulen Früchte flogen und landeten wahllos auf den Kleidungsstücken der Marktbesucher. Jemand schrie entsetzt auf. Es war die Kesselflickerin, sie war eben von der Angreiferin zum Ziel der wütenden Menge geworden. Jana wollte sich umdrehen und der dürren Frau helfen, aber Pfeiffer zog sie weiter.
»Es ist bloß ein fauler Apfel, die Frau wischt ihn weg und läuft verärgert nach Hause.«
Jana sah hinüber, der Arzt hatte recht. Die Kesselflickerin drängte sich bereits durch die Menge und eilte davon, so wie Jana und Doktor Pfeiffer es taten.
Der Arzt ließ Janas Hand erst los, als sie vom Marktplatz in eine kleine ruhige Seitengasse einbogen.
Mit
Weitere Kostenlose Bücher