Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
schiefem Grinsen meinte Doktor Pfeiffer: »Es wäre ungünstig, wenn die Menschen herausfänden, dass auch ich Katholik bin.« Er bog rasch in eine noch kleinere Gasse ein, die so eng war, dass sie beide gerade noch nebeneinander Platz hatten. Wäre ihnen jemand entgegengekommen, hätten sie ausweichen müssen. Es roch fischig und feucht, sie mussten sich ganz in der Nähe der Moldau befinden. Als die enge Gasse eine scharfe Biegung nach rechts machte, standen sie am Flussufer. Der Weg, der hier entlangführte, war nicht mehr als ein unebener Schotterpfad, gesäumt von hohen, dunklen Bäumen. Nur selten verirrte sich jemand an diesen nasskalten Ort, wo kaum Sonnenlicht hinfiel. Jana sah sich um, sie hatten die aufgebrachte Menge endgültig hinter sich gelassen.
»Danke«, sagte sie erleichtert.
»Keine Ursache.« Pfeiffer zog seinen einfachen Stoffhut. »Ich habe mir gestern schon gedacht, dass Schweinefett nicht das geeignete Mittel für die Seitenkrankheit ist.«
»Warum habt Ihr nichts gesagt?«, fragte Jana empört. Der Arzt hätte dem armen Kesselflicker große Schmerzen erspart und ihr selbst eine Menge Ärger.
»Es wäre anmaßend gewesen. Ich kannte weder den Patienten noch den Arzt, und ich hatte bloß mit halbem Ohr zugehört. Mein Interesse galt der beeindruckenden Amphibiensammlung Eures Onkels.«
Jana verzog den Mund. Sie glaubte dem Mann kein Wort.
Nach einer kurzen Pause sagte Doktor Pfeiffer: »Ich habe mich nicht eingemischt, weil die Seitenkrankheit eigentlich nur durch Öffnen der Bauchdecke und Herausschneiden eines kleinen entzündeten Darmstücks zu behandeln ist. Ein kurzer Teil, der wie ein Wurm aussieht.« Er deutete mit Daumen und Zeigefinger eine Länge an, die in etwa der eines Kinderfingers entsprach.
»Ein Wurm im Bauch?«
»Ein kleiner Anhang am Darm. Ich habe das bei der Vorlesung eines Schülers von Andreas Vesarius gesehen. Der Mann war kein guter Arzt, aber er verstand es, Leichen aufzuschneiden.«
Wie schon gestern fand Jana den Gedanken an aufgeschnittene Leichen höchst unappetitlich. Sie schüttelte den Kopf und fragte: »Habt Ihr selbst auch schon Leichen aufgeschnitten?«
»Natürlich.« Er strich sein rötliches Haar zurück und sah sich irritiert um. Offenbar hatte er die Orientierung verloren.
»Wir müssen hier entlang«, sagte Jana. »Außer Ihr wollt die Stadt schon wieder verlassen.«
»Nein, das habe ich im Moment nicht vor. Ich muss ins Clementinum.«
»Auch das liegt in dieser Richtung.«
Sie gingen weiter, und Pfeiffer setzte seine Ausführungen fort: »Beim Aufschneiden einer Leiche lernt man mehr über den menschlichen Körper als bei jeder Vorlesung.«
»Das kann ich mir gut vorstellen. Trotzdem ist der Gedanke, ins Fleisch eines Toten zu schneiden, schrecklich.«
Pfeiffer lachte. »Wollt Ihr lieber ins Fleisch eines Lebenden schneiden?«
Empört schüttelte Jana den Kopf. Das hatte sie damit nicht sagen wollen. Der Mann war anstrengend.
»Warum wusstet Ihr, dass die Medizin nur Schaden anrichten würde?«, wollte er wissen.
»Ich bin Apothekerin. Es ist eine der ersten Lektionen, die man lernt, dass Fett bei Übelkeit und Bauchschmerzen nicht besonders bekömmlich ist.«
»Wie kommt es, dass eine Frau eine Lehre in einer Apotheke macht und in die Innung aufgenommen wird? In allen Städten, in denen ich bis jetzt gelebt habe, ist der Beruf ausschließlich Männern vorbehalten.« Der Arzt bedachte sie mit einem forschenden Blick, so als wäre sie eine seltene Spezies. Einer der Lurche in Onkel Karels Amphibiensammlung.
»Hier in Prag ist es nicht ungewöhnlich, dass auch Frauen einen Beruf erlernen«, log Jana. Sie war die einzige Apothekerin in der Innung und hatte die Ausbildung nur deshalb machen dürfen, weil Onkel Karel den Innungsmeister mit einer beträchtlichen Summe überzeugt hatte. Aber das wollte sie dem eingebildeten Arzt gegenüber nicht zugeben.
»Ich dachte, dass es einen Zusammenhang zwischen der bevorstehenden Ehe, der Übernahme der Apotheke und den Wünschen Eurer Tante geben könnte«, sagte Pfeiffer geradeheraus.
Er traf den Nagel auf den Kopf und damit auch Janas wunden Punkt. Seine Neugier und sein Scharfsinn lösten in ihr heftigen Ärger aus.
»Und selbst wenn es so wäre, was ginge es Euch an?«, fragte sie spitz.
»Es geht mich nichts an«, gab Pfeiffer zu. »Aber es interessiert mich trotzdem, und da Ihr so heftig reagiert, nehme ich an, dass ich mit meiner Annahme richtigliege.«
Jana presste ihre Lippen
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