Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
schnell er nun laufen würde, er konnte ihr nicht mehr entfliehen.
Mit schweißnasser Hand legte er das Pergament zur Seite und ergriff das nächste. Auch diese Zeichnungen waren ihm nicht fremd. Am liebsten hätte er die Mappe wieder zugeschlagen und zurück ins Regal gestellt, in der Hoffnung, dass nie wieder jemand danach greifen würde. Aber Pfeiffer wusste, dass man sie immer und immer wieder herausholen würde. Mittlerweile war ihm so schlecht, dass ihm das Mittagessen in die Speiseröhre stieg. Er stieß sauer auf.
Der alte Mann hatte das Dokument detailgetreu beschrieben, besser hätte es auch Pfeiffer nicht machen können. Dass die Kirche einen häretischen Inhalt in den Illustrationen vermutete, fand er jedoch absurd.
»Was meint Ihr?«, fragte Tepence aufgeregt.
Pfeiffer seufzte schwer. Sollte er die Wahrheit sagen? Nein, das war unmöglich. Er musste dieses Dokument verschwinden lassen, und zwar so rasch es ging.
»Es handelt sich um eine sehr interessante Schrift, auch wenn ich keinerlei häretische Elemente erkennen kann. Für mich sieht es vielmehr wie ein Dokument aus, das seltene Pflanzen und deren Wirkungsweise beschreibt. Vielleicht übermittelt es wichtiges medizinisches Wissen.«
Die Augen des alten Manns weiteten sich vor Überraschung. »Medizin? Daran hab ich nicht gedacht, aber natürlich habt Ihr recht. Das wäre ja sensationell! Denkt Ihr, es ist möglich, das Geheimnis zu lösen?«
Pfeiffer nickte eine Spur zu rasch, aber Tepenec war in seine eigenen Gedanken vertieft und bemerkte weder die Angst im Gesicht des Gelehrten noch seine Nervosität.
»Für eine gründliche Untersuchung muss ich jedoch den Text mitnehmen«, sagte Pfeiffer vorsichtig.
Entsetzt schüttelte Tepence den Kopf. »Das ist unmöglich. Wenn Ihr die Schrift untersuchen wollt, müsst Ihr herkommen. Der Abt würde niemals erlauben, dass das Dokument das Kloster verlässt. Er wäre nicht einmal mit einer näheren Untersuchung einverstanden.«
»Er weiß nicht, dass ich hier bin?«, fragte Pfeiffer überrascht. Plötzlich begriff er, was ihn zuvor, als Tepence sich vorstellte, so irritiert hatte. Der alte Mann hatte ihn tatsächlich belogen.
Verlegen betrachtete Tepence seine Schuhspitzen, als befände sich dort ein interessanter Käfer. »Ich musste den Brief im Namen des Abtes schreiben. Die Gefahr, dass Ihr der Bitte eines einfachen Mönchs nicht nachkommt, war zu hoch. Dem Ruf des Oberhaupts des Clementinums konntet Ihr nicht widerstehen.«
Pfeiffer verdrehte die Augen. Der Mann hatte recht, und das ärgerte ihn umso mehr.
Entschuldigend sagte Tepence: »Ich bin ein alter Mann. Meine Zeit läuft langsam ab, aber bevor ich diese Welt verlasse, will ich wissen, wer oder was sich hinter der Schrift verbirgt. Zu lange schon beschäftige ich mich damit.« Er machte eine kurze Pause, seufzte und sagte dann: »Ich wohne in diesen Gebäuden und verbringe jeden Nachmittag in der Bibliothek. Solange genügend Tageslicht durch die Fenster fällt, könnt Ihr unbemerkt und ohne großes Aufsehen den Text studieren.«
»Warum darf der Abt nicht wissen, dass ich das Dokument untersuche?«, fragte Pfeiffer.
»Niemand hier will, dass Außenstehende davon erfahren. Zu groß ist die Angst, der Inhalt des Dokuments könnte verbreitet werden. Die Gläubigen suchen nach neuen Wegen, die Spaltung der Kirche liegt noch nicht lange zurück. Es gibt viele, die sich irreleiten lassen und vom rechten Weg abkommen.«
Die Erinnerung an den gestrigen Abend überfiel Pfeiffer und ließ ihm erneut einen kalten Schauder über den Rücken laufen. Warum nur hatte er vor dem Jesuiten Jendrik Zajic damit geprahlt, dass man ihn auch im Clementinum als Wissenschaftler schätzte? Vielleicht war der übereifrige Freund des Sohns seiner Vermieterin längst zu seinem Abt gelaufen und hat ihm von dem Arzt aus Wien erzählt. Dann würde der alte Tepence bald Schwierigkeiten bekommen und in Folge auch er selbst.
Wieder einmal hatten Stolz und Eitelkeit ihn verleitet und in eine missliche Lage gebracht. Jetzt hätte er sich vor Ärger am liebsten die Haare gerauft. Es waren immer wieder die gleichen Fallen, in die er tappte. Wann würde er das endlich lernen?
Er seufzte. Es war nutzlos, sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen. Es galt, einen Plan zu entwickeln, wie er das Manuskript an sich nehmen konnte, ohne als Dieb entlarvt zu werden.
Tepence legte den Kopf schräg. »Ich wiederhole mich, aber ich bin alt, und meine Zeit läuft bald ab. Bitte
Weitere Kostenlose Bücher