Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
geglättetes Pergament herzustellen.«
»Wem hat denn Kaiser Rudolf das Manuskript abgekauft?«, fragte Pfeiffer tonlos. Ihm war schwindelig geworden, gerne hätte er sich hingesetzt. Er atmete tief durch und lehnte sich unauffällig gegen einen der Fensterrahmen.
Tepence zuckte mit den Schultern: »Einem Kaufmann aus Eurer Heimatstadt. Der Name wurde nie genannt, und auch in den Geschäftsbüchern wird er nicht erwähnt. Das war Bedingung für den Kauf. Bloß die Summe wurde aufgeschrieben. Leider habe ich damals den Kaufmann nicht zu Gesicht bekommen, Abt Benedikt vermutet, er könnte einer der häretischen Verschwörer gewesen sein. Ein Mann, der genau wusste, welche Gefahr von der Schrift ausgeht, und sie aus genau diesem Grund in die Hände eines katholischen Herrschers gelegt hat. Rudolf war ein perfektes Opfer, er hat sich zeit seines Lebens der Wissenschaft und der Kunst verpflichtet gefühlt und alles gekauft, was interessant, absonderlich und einzigartig schien. Aber der Abt ist dem Kaufmann bereits auf der Spur. Mit etwas Glück wird man den Mann ausfindig machen und dann auch den Urheber der Schrift finden.«
Eine Pause entstand, bevor Tepence flüsterte: »Ich muss zugeben, dass ich Rudolfs Sammelleidenschaft immer sehr geschätzt und davon durchaus profitiert habe. So manch interessante Rarität ist im Laufe der Jahre in meinen Händen gelandet.«
Pfeiffer verkniff sich die Frage, wie viele der kostbaren Stücke auch in seinen Händen geblieben waren. Im Moment plagten ihn ganz andere Bedenken.
»Ein Kaufmann aus Wien, und man ist ihm bereits auf der Spur?«, fragte er, und das Rauschen in seinen Ohren nahm zu.
Tepence nickte, und Pfeiffer hätte am liebsten laut aufgeschrien.
Vielleicht waren seine Sorgen unberechtigt. Aber um das festzustellen, musste er das Schriftstück sehen.
»Zeigt mir die Schrift«, sagte er leise.
Der alte Mann humpelte auf seinen Stock gestützt zur kleinen Tür, sperrte sie umständlich auf und bat den Arzt, einzutreten in den geheimsten und kostbarsten Bereich der Bibliothek. Hier wurden uralte Abschriften der Werke griechischer Philosophen und bedeutender Kirchenväter aufbewahrt. Auf den Buchrücken erkannte Pfeiffer Namen wie Albertus Magnus, Roger Bacon und Thomas von Aquin.
An drei der vier Wände reichten die Bücherregale bis an die Decke. An der vierten Wand befanden sich zwei hohe Fenster, die auf den ruhigen Innenhof des Gebäudes hinaussahen und für ausreichend Licht zum Lesen sorgten. Tepence humpelte zielstrebig auf ein Regal zu und holte eine Ledermappe hervor. Sie sah kostbar aus, weiches hellbraunes Rindsleder mit feinen goldenen Ornamenten auf der Vorderseite.
Er brachte die Mappe zum einzigen Tisch im Raum, der genau in der Mitte stand, und legte sie vorsichtig ab. Dann nahm er auf einem der Stühle Platz. Seinen Stock lehnte er gegen den Stuhl und wies auch Pfeiffer an, sich zu setzen.
»Die Schriftzeichen sind sauber aufs Pergament gesetzt und sehen so einheitlich aus, als stammten sie aus einer einzigen Feder. Manche der Zeichen kommen öfter vor, aber es gibt keinerlei logische Reihenfolge, man kann keinen Rhythmus und keine Wiederholung erkennen. Alle herkömmlichen Entschlüsselungsmethoden haben bis jetzt versagt. Die Illustrationen zeigen unterschiedliche Themen. Eine stellt die Pflanze dar, von der habe ich Euch bereits erzählt, eine andere zeigt Planeten und Himmelskörper. Eine weitere Zeichnung könnte sich mit einer anatomischen Frage beschäftigen, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, denn alles wirkt sehr absonderlich. Es kommt einem so vor, als stammten die Zeichnungen aus einer anderen Welt. Dann wieder wirken sie real, wie die Darstellung einer Burg, die mit der Form ihrer Zinnen an Gebäude in der Nähe von Bologna und Padua erinnert.«
Mit jedem Wort, das der alte Mann sprach, spürte Pfeiffer, wie seine Übelkeit wuchs. Als Tepence ihm die kostbare Mappe zuschob, zitterten Pfeiffers Hände so sehr, dass er Angst hatte, der alte Gelehrte könnte seine Nervosität erkennen. Vorsichtig schlug er die Mappe auf und ergriff einen der losen Pergamentbögen. Er brauchte ihn nicht anzusehen, um zu wissen, was er da zwischen den Fingern hielt. Sein Herz klopfte in einem schnellen, ungesunden Rhythmus, in seinem Nacken stellten sich die feinen Härchen auf und ein Schauer wie von Tausenden winziger Eiswassertröpfchen lief ihm über den Rücken. Seine Vergangenheit hatte ihn gerade völlig unerwartet eingeholt, und egal, wie
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