Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
fragte. Schließlich konnte sie sicher sein, dass ihr Sohn unter denen gewesen war, die die drei Katholiken aus dem Fenster geworfen hatten.
Nun konnte Jana ihre Neugier nicht mehr im Zaum halten. Sie eilte ebenfalls hinüber zum Brunnen. Doch Radomila, die ihre Nichte kommen sah, fasste sie aufgebracht am Arm.
»Meine Liebe«, keifte sie, »hast du nichts Besseres zu tun, als hier untätig herumzustehen? Dein Onkel arbeitet sich in der Apotheke die Finger wund, und du vertrödelst deinen Tag mit Klatsch.«
»Was hier besprochen wird, hat mit Klatsch nichts zu tun«, brummte eine tiefe Stimme neben Radomila, und ein bärtiger Mann, der fast doppelt so breit wie hoch war, sah sie aus dunklen Augen grimmig an. »Graf von Thurn und seine Männer jagen die Katholiken aus der Stadt. Der verdammte Habsburgerkönig wird abgesetzt, und dann wird Böhmen endlich frei sein!« Bei den letzten Worten streckte er die Faust triumphierend in die Luft, und die Menschen rund um ihn jubelten, als gelte es, die Ankunft des Herrn zu feiern.
»Sind die drei Männer tot?«, wollte Jana erneut wissen.
»Nein, sie hatten Glück, sie sind in einem Misthaufen gelandet. Dort hätten sie ruhig bleiben können. Stattdessen sind sie mit eingezogenen Schwänzen und Dreck an der Nase nach Hause marschiert.«
Gelächter erklang von allen Seiten.
Jana hatte genug gehört. Sie ging zurück zum Haus. Bedrich hatte recht gehabt und das einzig Richtige getan. Er war geflüchtet, solange es noch gefahrlos möglich gewesen war. Was würde nun mit den Katholiken geschehen? Jene, die in hochrangigen Positionen waren, würden ihre Stellung verlieren, aber was wurde mit den anderen? Den Bäckern, Schustern und Kaufleuten? Würde man sie alle aus Prag verjagen?
Jana rannte ein kalter Schauder über den Rücken, während sie in die Küche zurückkehrte.
Den ganzen Tag über herrschte Ausnahmezustand in der Stadt. Die Menschen gingen nur halbherzig ihren Aufgaben nach, und alle warteten gespannt darauf, was als Nächstes passieren würde. Einige Katholiken hatten sich in ihren Häusern verschanzt, aus Angst, man würde auch sie aus dem Fenster werfen. Doch nichts dergleichen geschah. Vereinzelt kam es zu Beschimpfungen und kleinen Handgreiflichkeiten, aber niemand wurde ernsthaft verletzt.
Beim Abendessen fragte Radomila den Arzt aus Wien, wie man die Nachricht an der Universität aufgenommen habe. Doktor Pfeiffer machte ein ernstes Gesicht und dachte einen Moment lang über seine Antwort nach.
Dann sagte er: »Der Großteil der Universitätsmitglieder unterstützen Graf von Thurn. Vermutlich hofft man, dass es zur Auflösung des Clementinums kommt. Die Jesuiten sind in den letzten Jahren eine starke Konkurrenz für die Universität geworden.«
»Das wird Jendrik Zajic gar nicht gefallen«, sagte Radomila.
Doktor Pfeiffer wiegte den Kopf. Er wirkte gelassen, aber Jana erkannte hinter seiner scheinbar ruhigen Fassade eine Spur von Nervosität. Vermutlich hatte er nur einen Bruchteil dessen geschildert, was sich heute an der Universität tatsächlich abgespielt hatte.
»Werdet Ihr als Katholik Euren Posten als Lehrbeauftragter behalten?«, fragte sie.
Conrad Pfeiffer antwortete, ohne von seinem Teller aufzublicken. »Nein.«
Radomila ließ klirrend den Löffel fallen.
»Aber wie werdet Ihr dann Euren Unterhalt verdienen?«
»Ich bin Arzt«, sagte er trocken.
»Wer wird sich denn von einem Katholiken behandeln lassen, wenn es auch protestantische Ärzte gibt?«
Sichtlich verärgert wandte der Doktor sich an Radomila: »Vielleicht Menschen, die zum Arzt gehen, um gesund zu werden, und nicht, um gemeinsam mit ihm zu beten?«
Wie ein Karpfen öffnete Radomila lautlos den Mund und schloss ihn wieder. Was der Arzt eben gesagt hatte, konnte ihr nur recht sein, denn damit waren ihre Mietzahlungen gesichert. Außerdem, was konnte ihr Besseres widerfahren, als einen erfahrenen Arzt im Haus zu haben?
Zufrieden wirkte sie dennoch nicht. Sie hätte einen Protestanten vorgezogen.
»Wollt Ihr noch ein Stück Braten?«, fragte sie dann freundlicher und legte dem nickenden Doktor ein fettes Stück Schweinebraten auf den Teller.
»Danke.«
Da wurde die Tür zur Stube aufgestoßen, und Tomek stolperte herein. Sein hochrotes glänzendes Gesicht und seine starren, blutunterlaufenen Augen verrieten, dass er nicht mehr ganz nüchtern war.
»Wir haben es geschafft!«, johlte er, griff nach dem Schwert, das an seinem Oberschenkel baumelte, und zog es aus der
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