Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
entschuldigte sich für den beschwerlichen Weg und streichelte das alte Pferd. Aber es antwortete mit empörtem Augenrollen.
»Müssen wir denn diesen steilen Weg nehmen?«, fragte Jana. Sie hatte den Eindruck, dass alle anderen Wege über sanfte, bewaldete Hügelketten führten, während sie sich auf dem einzigen felsigen Anstieg befanden.
»Wenn Ihr im Kartenlesen so gut wärt wie im Nörgeln, dann wüsstet Ihr, dass dies der einzige Weg ist, der uns sicher nach München bringt, ohne dass wir durch größere Ortschaften müssen. Denn falls Ihr es noch nicht vergessen habt: Wir sind bei Nacht und Nebel aufgebrochen, und es ist durchaus möglich, dass Tomek längst hinter Euch her ist, um Euch an den Haaren zurück nach Prag zu zerren. Was er dann mit mir machen wird, darüber will ich gar nicht nachdenken.«
Beim Gedanken an Tomek verstummte Jana. Doktor Pfeiffer hatte recht. Tomek war kein Mann, der eine Kränkung ungestraft ließ. Mittlerweile hatte er sicher von Radomila erfahren, dass sie geflüchtet war. Vielleicht war er tatsächlich schon unterwegs und suchte nach ihr. Aber vielleicht war er ebenso froh wie sie, dass er sie nun nicht heiraten musste? Hatte er denn nicht zahlreiche Frauen in der Stadt, mit denen er sich immer wieder vergnügte? Schließlich hatte Jana mehrmals gehört, wie er vor seinen Freunden mit amourösen Abenteuern prahlte. Aber selbst wenn er ihr nachritt, so wusste er doch nicht, wohin sie unterwegs war. Bestimmt glaubte Tomek, sie wäre auf dem Weg nach Heidelberg, zum Grab ihres Vaters.
»Hinter der nächsten Hügelkette liegt eine kleine Hütte, die von einem Ehepaar bewirtschaftet wird. Dort können wir übernachten.« Doktor Pfeiffer zeigte mit ausgestrecktem Arm nach Westen, wo langsam die Sonne unterging. »Wir sollten den Weg hinter uns bringen, bevor es völlig dunkel wird.«
»Seid Ihr diese Strecke schon einmal geritten?«, fragte Jana.
»Nein, aber ein Studienkollege. Er war so freundlich, mir den Weg genau zu beschreiben.«
»Geht das denn?« Jana zweifelte. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie jemand einen so langen Weg genau beschreiben konnte. Ihr selbst fiel es schon schwer, jemandem zu erklären, wie er aus der Neustadt zum Hradschin gelangte.
»Der Mann ist Kartograph«, erwiderte Doktor Pfeiffer trocken.
»Oh, nun ja, dann sollte er es wohl können.« Jana biss sich auf die Zunge. Vielleicht war es besser, in Zukunft nicht so schnell das Wort zu ergreifen.
Doktor Pfeiffer sollte recht behalten. Hinter der nächsten Hügelkuppe tauchte eine winzige Holzhütte auf. Aus dem niedrigen Schornstein qualmte dunkelgrauer, nach Holzfeuer riechender Rauch. Jetzt erst merkte Jana, dass sie fror. In den letzten Stunden war es deutlich kühler geworden. Sie freute sich auf ein behagliches Feuer.
Vor der Hütte stieg auch Doktor Pfeiffer von seinem Pferd. Er war nicht auf die Idee gekommen, Jana den Platz auf dem Rücken seines Hengstes anzubieten.
Nun trat er auf die niedrige Tür aus dunklem Holz zu, über der das Geweih eines Hirsches genagelt war, und klopfte. Nach einer schier endlosen Weile öffnete sich die Tür einen Spaltbreit, und ein alter Mann mit wettergegerbtem Gesicht streckte vorsichtig den Kopf heraus.
»Verschwindet!«, rief er und hielt ihnen einen dicken, schweren Knüppel entgegen, um seinem Befehl noch mehr Gewicht zu verleihen.
»Wir hatten auf etwas mehr Gastfreundschaft gehofft«, sagte Doktor Pfeiffer. Jana versteckte sich hinter seinen schmalen Schultern.
»Wir haben nichts zu verschenken«, keifte der alte Mann. Seine rotunterlaufenen Augen tränten ungesund.
»Alles, was wir erbitten, ist ein Dach über dem Kopf, eine warme Suppe und frisches Heu für die Pferde. Wir bezahlen für alles.«
»Verschwindet von hier, ich kann Euch nicht brauchen! Ich habe eine kranke Frau im Haus und genug Sorgen am Hals.«
Bevor der alte Mann die Tür wieder zustoßen konnte, hielt Doktor Pfeiffer seine Hand dagegen.
»Ich bin Arzt, und meine Begleiterin ist Apothekerin. Worunter leidet Eure Frau denn?«
Der alte Mann zögerte. Langsam senkte er den schweren Holzknüppel und öffnete die Tür zu seiner Hütte.
»Begleiterin? Sie ist nicht Eure Frau?«, fragte er misstrauisch.
»Nein, sie ist meine Cousine. Ich bringe sie nach München, wo ihr Verlobter bereits auf sie wartet.« Doktor Pfeiffer log, ohne mit der Wimper zu zucken. Jana war beeindruckt.
»Ein Arzt zu sein, das kann jeder behaupten. Woher weiß ich, dass Ihr mich
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