Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
nicht belügt?«, fragte der alte Mann. Gleichzeitig blitzte Hoffnung in seinem faltigen Gesicht auf.
»Lasst uns ein, damit wir einen Blick auf Eure Frau werfen. Vielleicht können wir ihr helfen. Als Gegenleistung lasst ihr uns bei Euch schlafen, gebt uns ein Abendessen und Heu für die Pferde.«
Der Mann überlegte. Nach einer kurzen Pause nickte er. »Ihr könnt Eure Pferde im Stall hinter dem Haus unterbringen. Nehmt Euch Stroh, Heu und frisches Wasser. Und dann kommt herein«, brummte er, ging ins Haus und ließ die Tür hinter sich einen Spaltbreit offen.
»Geht voraus«, sagte Doktor Pfeiffer zu Jana. »Ich versorge die Pferde.«
»Soll nicht lieber …« Aber Jana konnte ihren Satz nicht beenden, Doktor Pfeiffer nahm ihr bereits die Zügel ab und ging nach hinten in den Stall.
Nach kurzem Zögern drückte Jana die niedrige Holztür auf und betrat die dunkle Hütte. Von schwarzen Dachbalken hingen getrocknete Würste, Zwiebel und Knoblauch. Über einer offenen Kochstelle befand sich ein großer Topf, aus dem es nach frisch gekochtem Bohneneintopf roch. Gleichzeitig lag ein übler, stechender Geruch nach Krankheit und Tod im Raum. Ein Schatten huschte über Janas Füße. Sie schreckte zurück und blieb stehen.
»Ist bloß eine Ratte«, sagte der alte Mann. »Die Viecher sind heuer besonders lästig.«
Jana schüttelte sich. Ihr ekelte vor den Tieren. Gleichzeitig merkte sie, wie hungrig sie eigentlich war. Seit einem kargen Frühstück aus trockenem Brot und einem winzigen Stück Käse hatte sie den ganzen Tag noch nichts gegessen. Ihr Magen knurrte. Doch zunächst musste sie einen Blick auf die kranke Frau werfen.
»Meine Frau liegt hinter dem Ofen. Sie zittert, und ihr ist kalt. Sie hat hohes Fieber«, erklärte der Mann.
Jana folgte ihm. Mit jedem Schritt wurde der köstliche Essensduft schwächer und von einem strengen Geruch nach menschlichen Ausdünstungen verdrängt. Als Jana zu der Frau trat, musste sie sich die Hand vor die Nase halten, um sich nicht zu übergeben.
Auf einem schmutzigen Bett aus altem Stroh lag eine dürre, kleine Frau und zitterte. Ihr dunkelgraues Haar klebte ihr verschwitzt an der Stirn. Auf ihrem Gesicht waren merkwürdige dunkle Flecken zu sehen. Sie schien zu phantasieren und brabbelte unverständliche leise Worte vor sich hin. Ihr Mann trat zu ihr, kniete sich hin und ergriff ihre Hand. »Mara, es sind zwei Wanderer gekommen. Einer behauptet, ein Arzt zu sein. Die Frau kennt sich mit Heilkräutern aus.«
Nur zu gern hätte Jana ihn verbessert. Sie war Apothekerin und keine Kräuterfrau. Aber sie unterließ es.
In diesem Moment kam Doktor Pfeiffer zu ihnen. Seine Miene verriet, dass er die Krankheit der Frau erkannt hatte, vielleicht an dem süßlich-modrigen Geruch nach Eiter und Verwesung. Er blieb in einiger Entfernung stehen und zog Jana am Oberarm weg vom Krankenlager.
»Hat Eure Frau große Beulen in der Leistengegend?«, fragte er mit düsterer Stimme.
»Ja.« Der Mann hob hoffnungsvoll den Kopf. »Zuerst hatte sie Beulen unter den Achseln. Die waren sehr schmerzhaft, aber sie sind aufgeplatzt und eine stinkende gelbgrüne Flüssigkeit ist herausgekommen. Aber kaum waren sie weg, sind neue aufgetaucht, diesmal in der Leistengegend. Sie sind noch viel größer, und meine Frau hat furchtbare Schmerzen und hohes Fieber. Ihr Körper glüht. Bitte helft Ihr.«
Doktor Pfeiffer entfernte sich einen weiteren Schritt von der Patientin und zog Jana mit sich. Seine Hand ruhte immer noch auf ihrem Oberarm.
»Niemand kann Eurer Frau helfen. Außer Gott vielleicht«, sagte er betroffen. »Sie hat die Beulenpest.«
»Pest?« Das Wort löste in Jana Panik aus, dass sie am liebsten aus der Hütte gelaufen wäre. Diese schreckliche Krankheit löschte ganze Dörfer aus. Einmal damit angesteckt, überlebte kaum jemand.
»Wie könnt Ihr das behaupten?«, rief der alte Mann entsetzt. Auch er wusste ganz offenbar, was das bedeutete.
»Schlagt die Decke weg und zeigt mir die Beulen«, befahl Doktor Pfeiffer.
Behutsam zog der alte Mann die Decke vom Körper seiner Frau und entblößte widerwillig ihren Unterleib. Der Anblick war schrecklich. Faustgroße, eitrige Geschwüre auf roter, entzündeter Haut zeigten, wie sehr die Frau leiden musste. Jana kniff die Augen zusammen und hielt die Luft an.
»Es ist die Beulenpest«, bestätigte Doktor Pfeiffer leise.
Die dürre Frau zitterte noch heftiger, und ihr Mann packte sie fürsorglich wieder in die Decke ein. Er beruhigte sie
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