Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Nacht nicht in diesem Haus verbringen, denn ich habe Euch versprochen, Euch heil in München abzusetzen.«
Was großmütig klingen sollte, verstand Jana völlig anders.
»Damit Ihr allein nach den weiteren Manuskripten meines Vaters suchen könnt«, zischte sie verärgert und band Marie los. Das Pferd bockte und wollte den Stall nicht verlassen. Alle Versuche von Jana, die Stute aus dem Stall zu locken, fruchteten nicht. Erst als Doktor Pfeiffers Hengst sich in Bewegung setzte, trottete Marie ihm langsam hinterher. Jana seufzte. Sie hatte sich die Reise mit dem alten Pferd nicht so anstrengend vorgestellt. Nie im Leben würde sie mit Marie bis nach Frankreich kommen.
Als sie aus dem Stall traten, hatte es empfindlich abgekühlt. Es war eindeutig zu kalt für die Jahreszeit. Jana konnte ihren eigenen Atemhauch vor dem Mund sehen. Außerdem hatte ein leichter Nieselregen eingesetzt.
»Was nun?«, fragte Jana. »Wir haben nichts mehr zu essen, keine Decken und kein Dach über dem Kopf.«
Doktor Pfeiffer drehte sich langsam zu ihr um und sah sie ernst an: »Das ist mir alles bewusst. Genauso wie ich weiß, dass ich jetzt gemütlich in einem Gasthaus in einer der hübschen kleinen Ortschaften schlafen könnte, anstatt wie ein Gesetzesbrecher durch die Wälder zu ziehen, weil ich eine unvernünftige Frau mitschleppe.«
Jana öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber gleich wieder. Sie war im Moment eindeutig in der schlechteren Position.
Stattdessen sagte sie besänftigend: »Ich kann mich erinnern, dass wir an einer Höhle vorbeigekommen sind. Falls es sich kein Bär darin gemütlich gemacht hat, könnten wir vielleicht dort Unterschlupf finden.«
»Dann lasst uns dorthin zurückkehren.«
Schon nach wenigen hundert Metern gelangten sie zu der vermeintlichen Höhle, die in Wirklichkeit nicht mehr als ein kleiner Unterschlupf war. Aber ein Felsvorsprung bot Schutz vor dem Nieselregen. Doktor Pfeiffer band die beiden Pferde an den Stamm einer mächtigen Eiche und machte sich daran, trotz des Nieselregens ein kleines Feuer anzuzünden. Dabei stellte er sich geschickter an, als Jana es gedacht hätte. Schon bald knisterte es behaglich unter dem Felsvorsprung.
»Wo habt Ihr gelernt, im Regen Feuer zu machen?«, fragte Jana neugierig.
Pfeiffer zuckte mit den Schultern und schwieg. Offensichtlich wollte er ihr nichts über sich selbst erzählen, und selbst so banale Dinge wie das Feuermachen schienen zu persönlich zu sein. Unterdessen wuchs Janas Neugier. Einen Augenblick lang war sie versucht, ein zweites Mal nachzufragen, aber sie ließ es gut sein. Im Moment war sie zu müde für einen verbalen Schlagabtausch.
Als der Arzt aus seinem Reisebeutel ein Stück getrocknetes Fleisch und einen Kanten Brot hervorzauberte, war Jana beinahe geneigt, ihm die Geheimnistuerei um seine Vergangenheit zu verzeihen.
»Das ist nun wirklich der letzte Rest«, sagte er und reichte ihr die Hälfte vom Brot. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er Janas glücklichen Gesichtsausdruck sah. »Morgen müssen wir Nachschub besorgen.«
Er teilte auch das Fleisch und gab Jana ein Stück. Gierig biss sie vom Brot und vom Fleisch ab und war erstaunt, wie gut ihr beides schmeckte. An jedem Bissen kaute sie eine kleine Ewigkeit, um den Geschmack so lang wie möglich im Mund zu haben. Als auch der letzte Brösel vertilgt war, wickelte sie sich eng in ihren Mantel und überlegte, wo sie sich am besten hinlegen sollte. Doktor Pfeiffer hatte es sich nah am Feuer gemütlich gemacht. Sein Kopf lag auf seinem Reisesack, und er hatte die Augen bereits geschlossen. Nun blinzelte er zu Jana, die immer noch ratlos dastand.
»Wenn Ihr nicht frieren wollt, solltet Ihr Euch möglichst nah zu mir legen«, sagte er sachlich.
Jana überlegte immer noch.
»Ich versichere Euch, dass ich nicht vorhabe, Euch zu belästigen.« Die Art, wie er das sagte, war fast beleidigend, so, als wäre Jana die unattraktivste Frau, die ihm je begegnet war. Sie schluckte hart, zog den Mantel noch enger und legte sich in gebührendem Abstand neben dem Gelehrten auf den Boden.
Der schloss die Augen wieder und schlief mit einem gemurmelten »Gute Nacht« ein. Jana hingegen konnte keinen Schlaf finden. Tausend Gedanken jagten ihr durch den Kopf. Dieser erste Tag ihres Abenteuers war so aufregend gewesen wie wohl noch kein anderer Tag in ihrem Leben. Sie hatte unbekannte Dörfer und einsame Landstriche gesehen, und das war erst der Anfang, schließlich waren
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