Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
und sich unter anderen Umständen sehr über ein Wiedersehen mit Bedrich gefreut hätte, im Moment hatte sie bloß einen Wunsch: Sie wollte, dass der Arzt sie auf seine Reise nach Dijon mitnahm.
Vor einer ganzen Weile waren sie durch das Isartor geritten und Richtung Stadtmitte weitergezogen. Doktor Pfeiffer hatte darauf bestanden, dass sie zu Fuß weitergingen, denn das Treiben in der freundlichen kleinen Stadt glich einem emsigen Bienenstock. Aus jeder Gasse kamen ihnen zahlreiche Menschen entgegen. Sie sprachen zwar alle Deutsch, aber ihr Dialekt klang in Janas Ohren seltsam und fremd. Anders als in Prag gab es hier nur katholische Kirchen, denn München war das Zentrum der Katholischen Liga und sein Herrscher Maximilian I. sorgte dafür, dass die Protestanten in seinem Reich keine Rolle spielten.
Aus einem der niedrigen Fachwerkhäuser drang der Geruch von gekochten und gebratenen Würsten. Janas Magen knurrte so laut, dass er dem Rattern eines vorbeifahrenden Pferdefuhrwerks, auf dem sich prallvolle Säcke mit Getreide befanden, erfolgreich Konkurrenz machte.
Seit drei Tagen hatte sie bis auf zwei kleine Fische und ein paar Walderdbeeren nichts Vernünftiges gegessen.
»Können wir nicht einen Markt suchen? Ich habe so großen Hunger, dass mein Magen bereits schmerzt.«
Nach einer winzig kurzen Nachdenkpause war Doktor Pfeiffer einverstanden. Wahrscheinlich knurrte auch sein Magen, aber aus irgendeinem Grund hatte er die unangenehmen Geräusche besser im Griff.
»Der Münchner Stadtmarkt befindet sich am Schrannenplatz«, sagte er und schritt zügig voran. Wieder fragte sich Jana, woher der Gelehrte das wusste. Er deutete auf eine auffallend große Kirche aus rotem Backstein mit zwei mächtigen Türmen, die von grünen Zwiebelkuppen gekrönt waren. »Das da drüben ist der Liebfrauendom«, erklärte er sachlich. »Im Eingangsbereich befindet sich ein schwarzer Fußabdruck, der angeblich vom Teufel stammt.«
Jana blieb stehen und starrte den Wissenschaftler ungläubig an. Seit wann erzählte Conrad Pfeiffer Geschichten vom Teufel? Oder hatte sie sich eben verhört?
»Kurz vor der Fertigstellung soll der Teufel sich ins Gebäude geschlichen haben, um es zu zerstören. Aber als er feststellte, dass das Gebäude kein Fenster hat, ging er wieder. Er war der Ansicht, kein Gläubiger würde eine Kirche betreten, die keine Fenster hat. Vor Freude hat er mit seinem Fuß aufgestampft.«
»Die Kirche hat keine Fenster?«, fragte Jana zunehmend misstrauisch.
»Natürlich gibt es Fenster«, erwiderte Pfeiffer, »man kann sie bloß nicht von überall her sehen. Steht man dort, wo sich der Abdruck befindet, kann man sie nicht ausmachen. Wollt Ihr einen Blick hineinwerfen?«
Jana schüttelte den Kopf. »Der Markt mit einem Stand saftiger Bratwürste wäre mir lieber.«
Pfeiffer lachte. Dabei bildeten sich rechts und links auf seinen Wangen kleine Grübchen, die Jana gegen ihren Willen anziehend fand.
»Aber die Geschichte vom Teufel finde ich nett«, sagte sie.
»Das dachte ich mir. Deshalb habe ich sie Euch erzählt. Die meisten Frauen mögen solche albernen Geschichten. Es ist erstaunlich, wie leicht Ihr zu unterhalten seid.«
Nein, Jana mochte Pfeiffers Lachgrübchen doch nicht. Sie fand sie überheblich und arrogant, so wie alles an dem Wissenschaftler. Sie zwang sich, leise bis zehn zu zählen und hoffte, dass die böse Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, sich bis dahin verflüchtigt hatte.
So als warte Doktor Pfeiffer auf eine bissige Erwiderung, sah er sie erwartungsvoll an. Doch Jana drehte sich betont zur Seite und fragte mit zusammengebissenen Zähnen: »Wo ist denn nun der Markt?«
»Gleich um die Ecke«, sagte Pfeiffer und schien fast enttäuscht. Er hatte ganz sicher mit einer spitzen Antwort gerechnet. Jedes Gespräch während der letzten drei Tage hatte in einem kleinen verbalen Schlagaustausch geendet. Meistens war Pfeiffer als Sieger daraus hervorgegangen.
Zu dem Geruch würziger Bratwürste mischte sich der verführerische Duft von frischem Brot, süßen Pasteten und von Bier, das aus Hopfen oder Gerste und Malz gegoren war. Jana lief das Wasser im Mund zusammen.
Plötzlich blieb sie stehen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße hing ein Wirtshausschild, das sie kannte. Es zeigte ein goldenes Wildschwein, das mehr Ähnlichkeit mit einem süßen Ferkelchen als mit einem wilden Eber hatte. Jana wusste genau, wem dieses Schild gehörte, denn bis vor wenigen Wochen hatte es sich noch
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