Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Steinfliesen. Er ließ den stillen Gang durch die Arkaden hinter sich und stieg die engen Steinstufen hinauf ins Obergeschoss zu seinen Privatgemächern.
Vor einer niedrigen Holztür blieb er stehen, holte den Schlüssel unter seiner Kutte aus feinem Wollstoff hervor und wollte aufschließen, aber der Schlüssel ließ sich nicht drehen. Jemand hatte sich bereits Einlass verschafft. Erstaunt und neugierig zugleich drückte der Abt die Klinke, die Holztür öffnete sich laut knarrend. Noch bevor der Abt seinen Arbeitsraum betreten hatte, drang ihm ein aufdringlicher Moschusgeruch in die schmale Nase. Abt Guillaume verabscheute Moschus. Er verband den Duft mit unerfreulichen Erinnerungen an zwielichtige Etablissements, in denen Männer der Kirche nichts verloren hatten.
Vorsichtig machte er einen Schritt in seine Kammer und blieb erschrocken stehen. Hinter seinem kleinen dunklen Schreibtisch mit den kostbaren Einlegearbeiten, einem Erbstück seines Vaters, saß ein Mann mit breiten Schultern und einer massigen Figur. Er hatte eine Kapuze tief in die Stirn gezogen, so dass Guillaume das Gesicht nicht erkennen konnte.
»Wer … seid Ihr und … was habt … Ihr in meiner Kammer zu suchen?« Der Abt bemühte sich vergeblich um einen festen, bestimmten Tonfall.
Ohne aufzusehen, antwortete der Fremde. Seine Stimme klang tief und bedrohlich.
»Ich bin Euer Bruder. Ein Jesuit und ein Mitglied der Fraternitas Secreta.«
Guillaume sog lautstark die Luft ein. Sein Herz setzte für einen Moment aus und begann dann ungesund schnell zu rasen. Ein Mitglied des Geheimbundes. Einer jener Männer, über die man munkelte, sie wären direkt dem Papst unterstellt, würden seine geheimsten Aufträge ausführen und auch vor Mord nicht zurückschrecken. Bis jetzt hatte niemand diese Gerüchte bestätigen können. Guillaume selbst war noch keinem der geheimen Brüder begegnet, aber er glaubte die Geschichten, die man ihm erzählt hatte.
Fieberhaft schossen ihm Fragen durch den Kopf: Was habe ich falsch gemacht? War der Ausbau der Kapelle zu teuer?
So als könnte der Unbekannte unter der dunklen Kapuze seine Gedanken lesen, drang ein leises, humorloses Lachen zu Guillaume.
»Entspannt Euch, lieber Abt. Ich bin nicht hier, um Euch zu richten.«
Guillaume fiel ein fast tonnenschwerer Stein von der Seele. Es grenzte an ein Wunder, dass der Fremde den Aufprall auf dem kunstvoll verlegten Parkettboden nicht hören konnte.
»Was führt Euch nach Lyon?« Die Stimme des Abtes hatte noch nicht die alte Festigkeit wiedergefunden.
»Ein unglückliches Missgeschick«, sagte der Unbekannte düster.
Abt Guillaume nahm auf einem der kleinen, unbequemen Hocker Platz, die er gewöhnlich für seine Besucher bereithielt. Der weichgepolsterte Lehnstuhl hinter seinem Schreibtisch war besetzt.
»Was für ein Missgeschick?«, erkundigte er sich vorsichtig.
»Vor Monaten wurde Euch die Ankunft eines Buchs angekündigt.«
Der Abt konnte sich sofort erinnern. Das Schreiben hatte ihn kurz nach Weihnachten erreicht. Es stammte direkt aus dem Vatikan und verhieß ein kostbares Buch, das hier in Lyon, in der Geheimkammer der Bibliothek aufbewahrt werden sollte. In dem Brief stand, die Brisanz der Schrift erfordere es, das Buch in drei Teile aufzuteilen. Auf diese Weise wolle man sichergehen, dass es für Leser außerhalb des Ordens unzugänglich war.
»Das Buch wurde angekündigt, ist aber bis jetzt nicht bei uns angekommen«, sagte Guillaume wahrheitsgetreu.
»Es konnte nicht ankommen, weil ein besoffener Seemann es gestohlen und an einen Wissenschaftler verkauft hat.«
»An einen Wissenschaftler?«, fragte Guillaume vorsichtig.
»Ja, der Mann hat eine Abschrift davon angefertigt und wollte sich auf die Suche nach den beiden anderen Teilen machen.«
Guillaumes Herz machte einen erneuten Satz. Hoffentlich gab niemand ihm die Schuld für diese Misere! Hätte er irgendetwas anders machen können? Es wollte ihm nichts einfallen.
»Habt Ihr die Abschrift gefunden?«, fragte er.
»Die Abschrift ja, aber das Original nicht.« Die Stimme hinter der Kutte klang nun verärgert, was sie noch eine Spur bedrohlicher wirken ließ als zuvor. »Ich weiß nicht einmal, wohin das Manuskript geschickt worden ist.«
Der Abt bekreuzigte sich. Das tat er immer, wenn er nicht mehr wusste, was er sonst tun sollte.
Dann fragte er weiter: »Glaubt Ihr, dass es dem Wissenschaftler gelungen ist, den Code zu entschlüsseln?«
»Ich weiß es nicht.«
Nun entspannte sich
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