Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
nun nicht mehr entspannt. Er sah verärgert aus und lachte humorlos.
»Was ist daran so lustig?«, fragte Jana empört.
Doktor Pfeiffer wurde wieder ernst.
»Ihr seid eine Frau.«
Jana schnaufte empört. »Ist das alles?«
Doktor Pfeiffer schüttelte den Kopf. »Das ist Grund genug. Die Reise könnte gefährlich werden. Das ist kein Kinderspiel oder ein lustiges Abenteuer, das ich unternehme, weil ich einmal etwas Spannendes erleben will.«
Er war nun sehr ernst geworden. »Meine Reise steht im Dienste der Wissenschaft. Ein schlauer Jesuitenpater hat sich sehr viel Mühe gemacht, diesen Text zu verschlüsseln, in drei Stücke zu teilen und in Frankreich zu verstecken. Es geht um geheimes Wissen, das außer den Jesuiten niemanden zugänglich sein soll. Als Mann der Wissenschaft kann und darf ich das nicht zulassen, ich muss solche Kenntnisse an die Öffentlichkeit bringen. Wissen bedeutet Macht, und ich halte nichts davon, wenn es in den Händen einiger weniger bleibt.«
Jana schnaubte verächtlich. Die Worte des Arztes erinnerten sie schmerzlich an die zahlreichen Briefe ihres Vaters. Auch er hatte stets die Wissenschaft vorgeschoben, aber in Wirklichkeit wollte er immer nur unabhängig sein und sich nicht mit ihr belasten.
»An das Gerede vom selbstlosen Wissenschaftler glaubt Ihr doch selbst nicht.«
Pfeiffer setzte sich auf und sah sie verwirrt an. »Wie bitte?«
Jana machte eine resignierende Handbewegung. Offenbar glaubte er es tatsächlich.
»Vergesst es«, murmelte sie und nahm einen Bissen von dem Fisch. Er schmeckte etwas langweilig, aber er füllte den Magen.
»In München werden wir schnurstracks zu Eurem Bedrich gehen und diese unangenehme Reise beenden. Ich will mich nicht mehr wie ein Verbrecher bei Nacht und Nebel davonschleichen müssen.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Jana genervt. »Schließlich habt Ihr Euch keiner Gesetzesübertretung schuldig gemacht. Ich bin es, die Euch in diese Lage gebracht hat.« Sie rechnete mit einer weiteren spitzen Bemerkung, aber die blieb aus. Für einen Moment hielt Pfeiffer sogar inne und zögerte, bevor er weitersprach.
»Ja, genau«, sagte er leise und diesmal ohne Sarkasmus. Dann fuhr er deutlich lauter und sicherer fort: »Euer Vater hätte gewollt, dass die drei Teile der Schrift zusammengeführt und der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Und Ihr wisst genau, es ist sicherer, wenn ich die Reise allein unternehme.«
Jana öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, überlegte es sich aber anders. Der Arzt hatte recht. Und wahrscheinlich hätte Marek es auch nicht gutgeheißen, dass Jana selbst sich auf den Weg machte, um diese Aufgabe zu erfüllen. Doch sie wollte es unbedingt. Irgendwie musste sie eine Möglichkeit finden, von München aus weiterzureisen, ihr fehlte nur noch eine gute Idee. Aber sie hatte ja noch ein paar Stunden Zeit.
Lyon
G UTGELAUT GING A BT G UILLAUME über den Hof zum Refektorium, dem Speisesaal des Klosters, über dem sich das Dormitorium für die Mönche und seine persönlichen Räume befanden. Das Oberhaupt des Klosters war höchst zufrieden mit dem, was er gerade gesehen hatte. Die Bauarbeiten an der Großen Kapelle, der Chapelle de la Trinité, gingen zügig voran. Das Chorgestühl war bereits vergoldet, und ein paar pausbackige Engel mit hellen Flügeln flankierten den Altar. Es war gut gewesen, einen Baumeister aus Italien mit dem Auftrag zu betrauen. Wenn alles nach Plan lief, würde diese Kapelle einmal das Prunkstück des Klosters werden, mit reichverziertem Altar, üppiger Deckenbemalung und prunkvoller Innenausstattung.
Seit die Jesuiten das Collège de la Trinité vor rund hundert Jahren übernommen hatte, war viel geschehen. Die ursprüngliche Bruderschaft, die Confrérie de la Trinité, hatte weder auf das Gebäude noch auf die Schule und schon gar nicht auf die Bibliothek großes Augenmerk gelegt. Jetzt war das Collège weit über die Grenzen hinweg bekannt und auf dem Weg, eine der berühmtesten Bibliotheken des Landes aufzubauen. Außerdem hatte der Orden dafür gesorgt, dass nicht nur der Ausbau des Schulgebäudes, sondern auch der der Kirche zügig voranschritt.
Abt Guillaume konnte zufrieden in die Sonne blinzeln und sich über seine Erfolge freuen. Vor dem Abendessen wollte er sich noch eine kleine Ruhepause gönnen. Schließlich konnte man nicht den ganzen Tag über arbeiten. Beschwingt durchquerte er den begrünten Innenhof, seine Ledersandalen klapperten über die mit Moos bewachsenen
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