Das Syndikat der Spinne
»Vermutlich passen die Schutzengel noch immer auf ihn auf.«
»Wo kann ich warten?«, fragte Claudia Schulze, die die Worte kaum wahrnahm.
»Es gibt einen Aufenthaltsraum gleich hier vorne. Eine Schwester wird Ihnen Bescheid sagen, wann Sie Ihren Mann sehen können.«
»Danke.« Sie lief ins Erdgeschoss und aus dem Krankenhaus, holte ein Fünfmarkstück aus ihrem Portmonee und steckte es in den Zigarettenautomaten. Sie hatte vor drei Jahren aufgehört zu rauchen, aber jetzt war der innere Druck derart groß, dass sie etwas brauchte, das ihre Nervosität und Anspannung und das unsägliche Gefühl der Ungewissheit einigermaßen linderte. Sie musste sich ablenken, sagte sich, nicht das Schlimmste zu erwarten, sondern das Beste. Das hatte ihre Mutter sie schon als kleines Kind gelehrt. Sie rauchte zwei Zigaretten im Freien, sah die Autos vorbeifahren und ging wieder nach oben. Dort setzte sie sich ins Raucherzimmer, die anderen Personen um sich herum kaum wahrnehmend, steckte sich eine weitere Zigarette an und betete still vor sich hin.
Donnerstag, 11.35 Uhr
Ich dachte mir, dass sie gleich kommen würden«, meinte Berger, als Durant und Hellmer das Büro betraten. »Hier, das ist für Sie abgegeben worden. Jetzt hab ich auch gleich mal Ihren Freund oder, wie man heute so schön sagt, Lebensgefährten kennen gelernt. Ein sympathischer junger Mann.«
»Hm«, murmelte sie nur, nahm die Mappe und öffnete sie. Bevor sie zu lesen begann, sagte sie zu Berger: »Ach ja, da war vorhin ein schwerer Unfall auf der A5. Ein Opel Astra. Gehört einem Peter Schulze, ein Freund von meinem – Lebensgefährten. Veranlassen Sie bitte, dass der Wagen zur KTU gebracht wird. Die sollen ihn auf Herz und Nieren untersuchen. Könnte sein, dass da jemand rumgeschraubt hat.«
»Klären Sie mich bitte auf«, erwiderte Berger stirnrunzelnd.
»Schulze hat, wie ich bereits erzählt habe, an einer Serie über organisiertes Verbrechen recherchiert. Die Serie sollte demnächst in der
Bild
-Zeitung erscheinen. Schulze hat in letzter Zeit verschiedentlich anonyme Drohungen erhalten, sie aber offensichtlich nicht ernst genommen. Und jetzt haben sie ihm wahrscheinlich die Quittung präsentiert.«
Berger lehnte sich zurück, verschränkte wie so oft die Arme hinter dem Kopf und sagte: »Übrigens, die Kollegen sind gerade dabei, die Namen der Personen zu überprüfen, mit denen Wiesner in Kontakt gestanden hat. Moment, hier hab ich’s, Galinski, Gauschwitz und Petrenkow. Bis jetzt absolute Fehlanzeige. Wie wir schon vermutet haben, gibt es diese Herrschaften gar nicht, zumindest nicht unter diesen Namen. Die von Wiesner notierten Telefonnummern sind abgemeldet. Und da er diese Männer nie persönlich gesehen hat, wird es sehr, sehr schwer werden, sie ausfindig zu machen.«
Er beugte sich wieder nach vorn und fuhr fort: »Aber die Telefonlisten der Maric sind überprüft worden. Sie hat von zu Hause aus in den letzten Tagen nur zwei Gespräche geführt, und zwar mit Zagreb, wo ihre Eltern und ihr Sohn leben, und mit ihrem Mitarbeiter am Dienstagabend. Von außerhalb hat sie nur einen Anruf erhalten, der jedoch von einer Telefonzelle aus geführt wurde. Aber sie hat am Montag von ihrem Handy aus mit einer uns nicht unbekannten Person gesprochen, und zwar mit Thomas Wiesner. Hier«, sagte er und reichte den Zettel über den Tisch. »Um genau 13.32 Uhr hat sie ihn angerufen. Zwei Minuten hat das Gespräch gedauert.«
»Uups«, entfuhr es Durant, »das ist ja interessant. Das muss kurznach unserem Besuch bei ihr gewesen sein, ja, sogar unmittelbar danach. Frank, weißt du noch, wann genau wir bei ihr waren?«
»So von kurz vor eins bis gegen halb zwei.«
»Also, da haben wir’s doch. Was hat sie wohl von ihm gewollt? Wir fahren nachher zu Ramona Wiesner, und da frag ich sie einfach so ganz nebenbei, ob ihr Schwager und die Maric sich gekannt haben. Aber wir werden dem Herrn Wiesner trotzdem ein bisschen auf den Zahn fühlen, was er mit der Maric zu tun hatte. Bin gespannt, was ihm dazu einfällt. So, und jetzt nehmen Hellmer und ich uns Schulzes Aufzeichnungen vor.«
Sie begaben sich in Durants Büro und setzten sich nebeneinander an den Schreibtisch. Schulze hatte das Gespräch mit Dr. Andrejew zum Teil in ganzen Sätzen, zum Teil nur in Stichpunkten festgehalten. Plötzlich stockten beide, sahen sich an, und Hellmer sagte nur: »Gebhardt. Augenblick, ich will doch mal schauen, ob die Adressen, die er uns genannt hat, mit denen hier
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