Das Syndikat der Spinne
wie die Osteuropäer, allen voran die Russen, arbeiten. Die fackeln nicht lange. Maximal eine Drohung, dann sind sie mit ihrer Geduld auch bereits am Ende. Wie gesagt, eine kleine Meinungsverschiedenheit kann reichen, und schon gibt es Tote. Es gibt Vermutungen, nach denen allein aus der ehemaligen Sowjetunion einige hundert Auftragskiller in den Westen gekommen sind, von denen ein paar ganz besondere Spezialisten schon mehrere hundert, vielleicht sogar tausend Menschen getötet haben. Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Und nur ganz wenige sind namentlich bekannt, sind aber nicht zu schnappen, weil sie eine unglaublich mächtige Organisation hinter sich haben, die natürlich ihre besten Leute nicht verlieren will. Das ist wie eine Gummiwand, gegen die man rennt. Und die werden immer mächtiger. Als ich mich vorhin mit Müller unterhalten habe, hat er mir einige Insiderinformationen zukommen lassen, denen zufolge wir praktisch machtlos sind. Die Osteuropäer drängen immer stärker auf den westlichen Markt und verdrängen die Deutschen und Italiener und so weiter. Sie investieren in Großunternehmen, Immobilien, in kleinen unscheinbaren Geschäften werden Drogendeals abgeschlossen. Und keiner traut sich, etwas gegen sie zu unternehmen. Das sind die Auswüchse der Perestroika. Im Augenblick wünschte ich, der EiserneVorhang wäre nie gefallen. Aber wir können es nicht mehr ändern. Kommen Sie gut nach Hause. Wir sehen uns morgen in alter Frische.«
»Das mag alles stimmen, was Sie gesagt haben, aber das Massaker im Kettenhofweg ist in nichts mit dem an Andrejew und seiner Familie zu vergleichen. Hier waren Kinder mit im Spiel. Sie hätten die Kleine nur sehen müssen, wie sie dagesessen hat. Ein bildhübsches Mädchen, das keinem Menschen auch nur das Geringste getan hat. Das ist es, was mich so wütend und unendlich traurig zugleich macht. Und so einen Anblick kann man nicht vergessen. Können Sie das verstehen?«
»Ich denke schon«, antwortete Berger mit väterlicher Stimme, »es ist vielleicht doch etwas anderes. Und ich bin, wenn ich ehrlich sein soll, froh, solche Dinge nicht mehr sehen zu müssen.«
»Eine Frage noch, bevor ich gehe«, sagte Julia Durant. »Sind die Leute von der Spurensicherung noch bei Andrejew?«
»Mit Sicherheit. Das wird wohl auch noch einige Stunden dauern, bis die fertig sind. Ach ja, beinahe hätt ich’s vergessen, dieser Laskin hat für Sie angerufen. Er ist ab etwa zehn Uhr heute Abend zu erreichen. Und Küchler hat auch wieder angerufen. Morgen früh kommen er und Generalstaatsanwalt Blumenthal ins Präsidium. Sie wollen mit uns sprechen.«
»Mit uns allein?«
»Nein, auch mit den Kollegen vom OK. Ich weiß jedoch nicht, was die genau vorhaben. So, und jetzt will ich Sie wirklich nicht länger aufhalten.«
Durant und Hellmer hatten gerade das Büro verlassen, als Kullmer ihnen nachgerannt kam.
»Wartet mal, ich muss mit euch reden. Aber nicht hier auf dem Gang. Am besten im Besprechungszimmer.«
»Was ist los?«
»Kommt schon.«
Sie folgten ihm, er machte die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. »Ich weiß, ihr wollt nach Hause, kann ich euch auch nichtverdenken. Doch wir sollten uns Gebhardt vornehmen, am besten gleich. Sorry, aber ich könnte mir vorstellen, dass der Kerl zu türmen versucht.«
»Und wie kommst du darauf?«
»Ich sage nur Andrejew. Ich habe die Akte gelesen. Wir müssen zu Gebhardt, ob wir wollen oder nicht.«
Durant und Hellmer warfen sich eindeutige Blicke zu. »Und wie viel Zeit veranschlagst du für die Aktion?«
»Kommt drauf an«, sagte Kullmer schulterzuckend.
»Auf was kommt es an?«, fragte Hellmer.
»Wie er sich verhält. Wenn er denn überhaupt noch da ist.«
»In Ordnung. Es ist jetzt zehn vor sechs. Wir fahren aber mit drei Autos. Ich will von dort aus direkt nach Hause, und Julia auch.«
»Und wenn er Ärger macht?«, fragte Kullmer. »Ich meine, es könnte ja auch sein, dass wir ihn verhaften müssen.«
»Wir fahren trotzdem mit drei Autos.«
»Dann mal los.«
Donnerstag, 17.55 Uhr
Es war fast achtzehn Uhr, als sie vom Präsidiumshof fuhren. Wegen des Fronleichnamtages und eher bescheidenen Wetters brauchten sie nicht einmal zwanzig Minuten, bis sie vor dem Haus hielten, in dem Gebhardt wohnte. Es war ein ziemlich neues fünfstöckiges Mehrparteienhaus. Gebhardt wohnte ganz oben. Glücklicherweise trat gerade ein junger Mann aus dem Aufzug und kam zur Tür. Er blickte die drei Beamten an und fragte: »Wollen Sie
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