Das Syndikat der Spinne
fürchtete deshalb weniger Küchler als Blumenthal, der nicht nur Generalstaatsanwalt war, sondern gleichzeitigeine führende Position im Zentralrat der Juden bekleidete und somit auch in der Öffentlichkeit eine exponierte Stellung innehatte.
Michael Blumenthal war gläubiger Jude, verheiratet und hatte vier Kinder. Er besuchte regelmäßig die Synagoge und forderte die Politiker immer wieder auf, den Rechtsradikalismus und Antisemitismus stärker als bisher zu bekämpfen. Allerdings ließ ihm seine Arbeit als Generalstaatsanwalt zu wenig Freiraum, sich stärker um die Belange der jüdischen Gemeinden in Deutschland zu kümmern. Er war das älteste von fünf Kindern, von denen zwei Brüder die Aktienmehrheit an einem globalen Elektronikkonzern und einem führenden Automobilhersteller hielten, während seine beiden Schwestern mit höchst einflussreichen estnisch-jüdischen Unternehmern verheiratet waren. Seine Eltern hatten den Holocaust nur knapp überlebt, und jedes Jahr fuhren sie zusammen mit ihren Kindern und Enkeln einmal zur Gedenkstätte nach Buchenwald, wo sie fast zwei Jahre im KZ zugebracht und sich auch kennen und lieben gelernt hatten, bevor sie von den Amerikanern befreit wurden.
Blumenthal war in Frankfurt geboren, wohin seine Eltern nach der Befreiung zurückkehrten, da hier ein Teil des Stammbaums der Familie war, der bis in das frühe 16. Jahrhundert zurückreichte, als sie von Lettland nach Frankfurt übergesiedelt waren. Doch irgendwann, zu irgendeiner Zeit, waren sie aus Israel gekommen, zumindest hatte der alte Blumenthal das seinen Kindern erzählt, und wenn er wolle, könne er seinen Stammbaum sogar bis zu König David zurückverfolgen. So lautete die Überlieferung der Ahnen und Urahnen.
Blumenthals Eltern lebten noch und erfreuten sich bester Gesundheit. Sie hatten es nach dem Krieg durch Immobiliengeschäfte zu einem beträchtlichen Vermögen gebracht, auch wenn ein Großteil dieser Immobilien sich in einer Gegend befand, über die manch alteingesessene Frankfurter die Nase rümpften, doch der Rotlichtbezirk warf jeden Tag so viel Geld ab, dass es nach wie vor eine lohnende Einnahmequelle war. Mittlerweile gehörten den Blumenthalsnicht nur in Frankfurt ganze Häuserzeilen mit Wohnungen, Geschäften und Banken, sie hatten auch einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens in gewinnbringende Unternehmen gesteckt und immer noch den richtigen Riecher, wo es sich lohnte zu investieren. Es gab Unternehmen, die kaum ein Mensch kannte, die aber durch Blumenthals Investitionen schon bald eine marktführende Stellung einnahmen. Das Gesamtvermögen der Familie ließ sich nicht einmal mehr genau beziffern, aber man munkelte, es würde in die hunderte von Millionen gehen, die Immobilien ausgenommen.
Julia Durant kannte Blumenthal, der zwei Gesichter hatte, eines, das er der Öffentlichkeit als Verfechter von Gleichheit und Gerechtigkeit präsentierte, wenn er lächelnd und gleichzeitig überzeugend auftrat und seinen Standpunkt zu bestimmten Themen darlegte, aber auch ein anderes, das nur wenige zu sehen bekamen, ein Gesicht, das einen Zyniker und wenig liberalen Mann zeigte, der keinerlei Kritik ertrug und am liebsten nach dem Gesetzbuch der Juden, der Thora, gelebt hätte, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Glücklicherweise gab es in Deutschland eine andere Rechtsprechung, und so musste er sich oftmals in seinen Äußerungen zurückhalten. Mit Blumenthal auszukommen war nicht leicht, und Durant war gespannt auf das Aufeinandertreffen mit ihm.
Küchler hingegen, das war bekannt, war der Ziehsohn von Blumenthal, und der einzige Grund, den manche darin sahen, war die Tatsache, dass Küchler mit einer Jüdin verheiratet war. Es war eine seltsame Beziehung, die die beiden verband, fast vergleichbar mit einem Vater-Sohn-Verhältnis. Und weil Staatsanwältin Schneider-Glauka über dieses Verhältnis Bescheid wusste, hatte sie nichts gesagt, als Küchler ihr vorgezogen wurde, als es um die Beförderung zum Oberstaatsanwalt ging. Ein Kampf gegen Blumenthal wäre ein Kampf gegen Windmühlen gewesen.
Durant fuhr um fünf vor acht auf den Präsidiumshof, stellte ihren Wagen ab und stieg aus. Die Luft hatte sich seit der Nacht kaum erwärmt, man konnte wieder einigermaßen frei durchatmen. Sie stieg die Treppe hinauf. Auf dem Gang begegneten ihr einige bekannteGesichter. Berger und Hellmer waren bereits im Büro und unterhielten sich. Julia Durant hängte ihre Tasche über den Stuhl und stellte sich zu
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