Das Syndikat der Spinne
versprach auch nicht, viel kühler zu werden. Der heiße Südwind flaute allmählichab, doch die Hitze blieb. Julia Durant atmete tief durch. Sie wäre am liebsten gleich ins Präsidium zum K60 gefahren, um alles kurz und klein zu schlagen. Sie fragte sich, wem sie überhaupt noch trauen konnte, wer nicht die Hand aufhielt, wer nicht käuflich war. Doch es hatte keinen Sinn, sich in diesem Augenblick darüber Gedanken zu machen. Was immer Gebhardt auch auf dem Kerbholz hatte, es hatte nichts mit dem Tod von Irina Puschkin und Andreas Wiesner zu tun. Sie kannte Gebhardt, den knapp vierzigjährigen, dienstbeflissenen Beamten, der es aber bisher nicht zum Hauptkommissar gebracht hatte, aus welchen Gründen auch immer. Und sie hatte ihn vom ersten Moment an nicht gemocht. Jetzt wusste sie auch, warum. Ihr Gefühl und ihr erster Eindruck ließen sie eben nur selten im Stich. Sie zündete sich eine Zigarette an und schaute hinunter in den kleinen Garten. Sie spürte, wie sie allmählich ruhiger wurde, und blickte auf die Uhr. Eigentlich müsste Laskin gleich kommen. Sie ging wieder ins Wohnzimmer und drückte die Kippe im Aschenbecher aus. Sie fragte Natascha, ob sie die Toilette benutzen dürfe, nahm ihre Tasche und schloss hinter sich ab. Sie holte ihr Handy heraus und tippte Kullmers Privatnummer ein. Er meldete sich sofort.
»Hier Durant. Haben Sie schon irgendwas wegen Gebhardt unternommen?«, fragte sie sehr leise.
»Nein, das hat noch nicht geklappt. Aber ich kann Sie kaum verstehen …«
»Ich muss leise sprechen«, sagte sie und atmete erleichtert auf. »Das ist gut, dass Sie noch nichts unternommen haben. Erst mal Finger weg von Gebhardt, ich erzähl Ihnen gleich morgen früh davon. Und auch keinen Kontakt zu Ihrem Freund beim OK …«
»Was ist denn los?«
»Morgen, jetzt geht es nicht. Nur so viel, Gebhardt ist wahrscheinlich korrupter, als wir überhaupt nur ahnen können. Gleich morgen früh besprechen wir alles Weitere. Bis dann und ciao.«
Sie drückte die Toilettenspülung, wusch sich die Hände und trocknete sie gerade ab, als es klingelte. Natascha war zur Tür gegangen.Durant huschte schnell ins Wohnzimmer und lehnte sich an die Fensterbank.
»Hallo, Natascha, wo ist Irina?«, fragte eine männliche Stimme.
»Komm erst mal rein«, sagte Natascha. Sie schloss die Tür und betrat mit einem sehr schlanken und nicht sehr großen Mann das Wohnzimmer, der einen Strauß roter Rosen in der Hand hielt. Er hatte kurze volle schwarze Haare, dunkle Augen und seine Haut einen leichten Braunton. Er kniff die Augen zusammen, als er die Beamten erblickte, und sah dann Natascha an. Durant schätzte ihn auf Mitte dreißig. Sie dachte: Er sieht verdammt gut aus, bei dem könnte sogar ich schwach werden.
»Guten Tag«, sagte er, musterte die Beamten mit kritischem Blick und legte den Strauß auf den Tisch. »Wo ist Irina?«
»Setz dich bitte«, forderte Natascha ihn auf. »Darf ich vorstellen, Frau Durant und Herr Hellmer von der Kriminalpolizei. Das ist Herr Laskin.«
»Moment mal, was hat das zu bedeuten?«, fragte er und ließ seine Augen von Durant zu Hellmer und schließlich zu Natascha wandern.
»Guten Abend, Herr Laskin«, sagte Durant und kam vom Fenster herüber. Sie reichte ihm die Hand, sein Händedruck war angenehm fest. »Sie möchten wissen, wo Frau Puschkin ist. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass sie tot ist.«
Laskin wurde unter seiner braunen Haut schlagartig weiß. Er kniff die Augen wieder zusammen und ließ sich in einen der beiden Sessel fallen. »Was sagen Sie da, Irina ist tot? Warum? Ich meine, was ist passiert?«
»Sie wurde ermordet. Das ist auch der Grund, weshalb Sie sie nicht erreicht haben. Wir haben den Anrufbeantworter abgehört.«
»Seit wann ist sie tot?«, fragte er mit belegter Stimme.
»Seit Samstagnachmittag …«
»Und warum erfahre ich erst jetzt davon?«, fragte er laut und sah Natascha vorwurfsvoll an.
»Ich bin selbst erst heute Mittag nach Hause gekommen. Ich habeIrina am Samstag das letzte Mal gesehen«, rechtfertigte sie sich mit entschuldigendem Blick.
Daniel Laskin stützte den Kopf in beide Hände, sprang plötzlich auf und tigerte ruhelos im Zimmer umher. »Wissen Sie schon, wer es war?«
»Es war Mord und Selbstmord«, antwortete die Kommissarin.
»Was? Das verstehe ich nicht.«
»Sie wurde von einem gewissen Andreas Wiesner erschossen, der anschließend sich selbst gerichtet hat. Sagt Ihnen der Name etwas?« Durant beobachtete Laskin genau, doch
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