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Das Syndikat

Das Syndikat

Titel: Das Syndikat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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jetzt nicht aufgeben, jetzt nicht mehr.
    Vorsichtig drückte sie die Tür auf. Nichts. Niemand, der vor ihr stand und auf sie zielte. Nur ein Wohnzimmer. Ein großes Wohnzimmer, getaucht in goldenes Licht.

85
    Dann sah sie die Verwüstung. Die aufgeschlitzte Liege. Die Glasscherben auf dem spiegelnden Marmorboden. Das Blut. Die Körper. Zwei Männer, schwarz gekleidet, einer hockte zusammengesunken an der blutverschmierten Wand, sein Kopf war zur Seite gekippt, der Hals war eine dunkle Wunde, dann sah sie auch die Blutlache neben seinem Arm. In den Hals geschossen, dachte sie, und ihr Blick wanderte zu dem zweiten Mann, einem dünnen, zähen Kerl mit spärlichem Bartwuchs und wirren Haaren. Er lag auf der Seite, beide Arme über den Bauch gepresst. Als sie näher trat, entdeckte sie die Stelle, aus der das ganze Blut, in dem er lag, gesickert war. Gibbs winselte und kroch hinter sie.
    Und sie? Sie stand einfach da. Auf einmal war ihr schwindlig, sie spürte ein Rumoren im Magen und ein Würgen im Hals, sie war unfähig, sich zu rühren und zu denken. Keine Linh, kein Roth, stattdessen zwei unbekannte Tote.
    Plötzlich fing Gibbs an zu knurren. Irgendwo schabte oder schleifte etwas über den Boden. Roth ... Vielleicht war er verletzt und hatte sich irgendwo in der Wohnung versteckt. Sie holte Luft. Weiter, geh weiter. Gibbs blieb an ihrer Seite, seine Nackenhaare sträubten sich, sein Knurren wurde lauter.
    »Was ist, Gibbs?«, fragte sie leise. Irgendetwas war hier ... Die Pistole schussbereit, schlich sie an der Wand entlang. Hinter der geschlossenen Tür links von ihr vermutete sie das Schlafzimmer, die Küche war offen und ins Wohnzimmer integriert, und die beiden schmaleren Türen führten sicher ins Bad und in die Toilette.
    Sie wischte ihre feuchten Hände an der Hose ab, dann hielt sie den Griff der Sig Sauer wieder fester. Sie stieß die Türen auf, eine nach der anderen. Schlafzimmer, Bad, Toilette – aber da war niemand. Sie drehte sich um, und ihr Blick fiel auf einen Sekretär aus Polyacryl. Langsam ging sie darauf zu. Ein Notebook, ein teurer Stift, ein Stapel Druckerpapier, die Blätter penibel geschichtet – und dahinter, an die Wand gelehnt, ein Foto, in Farbe, 8 × 13.
    Nein, sie musste sich täuschen. Eine andere Erklärung gab es nicht. Sie starrte das Gesicht auf dem Foto an. Dieselben Augen, der Blick ... Das konnte nicht ... es war unmöglich ...
    Gibbs knurrte wieder, das schreckte sie auf, holte sie zurück, blitzschnell fuhr sie herum, die Waffe im Anschlag. Und dann hörte sie es. Ein Schleifen, mehr ein Schaben, als würde jemand leise den Boden kehren. Gänsehaut überzog ihren Körper. Jetzt erst fiel ihr die deckenhohe Glasscheibe auf, links neben der Küchenzeile. Dahinter war es dunkel, sodass sie sich darin spiegelte. Sie ging langsam näher. Wo war Gibbs? Er musste sich irgendwo verkrochen haben, sein Knurren war leiser geworden.
    Irgendwo musste ein Lichtschalter sein, sie tastete mit zitternden Händen an der Wand entlang, da war er. Ganz langsam, als würde da drinnen eine eigene Sonne aufgehen, erstrahlte das Innere in einem sanften Gelb. Ein Ast tauchte aus der Dunkelheit auf, dann nahm sie den hellen Sand auf dem Boden wahr und dann – das Mädchen. Linh.
    Es blinzelte ins Licht und verkroch sich noch tiefer in die Ecke. Karen suchte nach einem Mechanismus, der die Scheibe öffnen würde. Das Kind hatte alles mitangesehen, die Schießerei, das ganze Blut, und dann hatte es sich verkrochen ...
    Plötzlich wurde ihr klar, dass es sich hier um ein Terrarium handelte. Für Tiere, die auf Bäumen lebten oder ... im Sand ... und sich schabend darin vorwärtsbewegten ... Hektisch versuchte Karen, die Scheibe hochzuschieben, aufzudrücken, irgendwie musste dieses verfluchte Terrarium doch zu öffnen sein, Linh war doch auch reingekommen ... und das Tier ... irgendwo da drin musste es sein, was immer es sein mochte, endlich hatte sie den Schalter gefunden, und die Scheibe glitt zur Seite, langsam, unendlich langsam. Sie wollte nachhelfen, aber es ging nicht. Gibbs bellte. Sie drehte sich um, mit gesträubtem Fell kauerte er an der Eingangstür.
    »Ist okay, Gibbs«, sagte sie beruhigend und wandte sich wieder zu Linh um.
    »Komm, komm raus hier«, sagte sie und streckte durch den langsam größer werdenden Spalt dem Mädchen die Hand entgegen. Doch es verkroch sich noch tiefer in die Ecke. »Linh?«, versuchte Karen es wieder, »du bist doch Linh, oder? Komm raus, ich bringe dich zu

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