Das Syndikat
eigenes Haus. Als sie losfuhr, war sie noch immer wütend auf Michael.
Täuschte sie sich, oder gab es nicht mehr so viele Straßensperren? Oder hatte sie einfach nur Glück?
Eigentlich wirkte alles wie sonst, als Karen die Zentrale von Lanzelot betrat: das Licht, das einschläfernde Summen der Lüftungsanlage und der Rechner, auch Teecees Silhouette vor dem hellen Hintergrund des Monitors.
Aber es war nicht wie sonst. Nyström war nicht da. Und Lee auch nicht.
»Hi!«
Teecee wirbelte herum. »Du bist wieder da?«
»Überrascht?«, erwiderte Karen. Ihr fiel der Spruch auf Teecees gelbem T-Shirt mit dem Schimpansen auf. The Other Branch . Sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken.
»Na ja ...« Er zuckte mit den Schultern. »Wenn man bedenkt, was da draußen so alles los ist.« Sein Grinsen wurde schief.
»Wo ist Nyström?«, fragte sie, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. Sie war in der Stimmung, um einen Streit vom Zaun zu brechen.
»Ich hab nichts von ihm gehört, er musste untertauchen ...« Er zuckte wieder mit den Schultern, und der Schimpanse auf seinem T-Shirt legte kurz die Stirn in Falten.
Er sah verändert aus. Gerötete glasige Augen, trockene Lippen, seine Bewegungen waren irgendwie fahrig, und seine dicken Locken sahen nicht gerade frisch gewaschen aus. Sie war sich sicher, er warf regelmäßig Drogen ein.
»Wo ist Lee?« Irgendetwas stimmte nicht.
»Mit Nyström unterwegs.« Er grinste. »He, keine Panik! Die kommen schon wieder. Ich halte solange die Stellung.«
»Und wieso glaub ich dir nicht?«
Er kratzte sich am Kopf. »Schätze mal, weil du was gegen mich hast.«
Sie antwortete nicht, sondern legte ihm das Foto auf den Tisch. »Helen Durban. Wer ist das und wo wohnt sie, kannst du das rauskriegen?«
»Aha!« Grinsend verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich zurück. »Du willst, dass ich dir einen Gefallen tue?« Er wippte in seinem Sessel.
Sie ignorierte seine Bemerkung. »Nyström ist überzeugt, dass du loyal bist. Hat er sich geirrt?«
Teecees Augen verengten sich, und sie konnte beobachten, wie er nachdachte. Schließlich schob er das Foto neben die Tastatur und gab den Namen ein.
Währenddessen schweifte ihr Blick über die Rechner und Monitore auf der Suche nach ... ja, wonach eigentlich? Sie wusste es selbst nicht. Nach etwas Verdächtigem, nach einem Hinweis auf Nyström und Lee? Aber da war nichts, nur ein lose hängender Kabelbaum, der war ihr noch nie aufgefallen.
Dann gab Teecee ihr die Adresse: Helen Durban, Hansaallee 10, Frankfurt, Deutschland.
»Viel Glück«, sagte Teecee, als sie ging.
Sie wusste nicht, ob er das ernst meinte.
88
Den Haag
Dass er mit der Idee, das Apartment von diesem Roth zu durchsuchen, so sehr ins Schwarze treffen würde, hatte ihn selbst überrascht, das hatte Fabio ihr gerade gesagt. »Stell dir vor: Laokoon, der gegen eine Schlange kämpft. Und das hier sieht aus, als hätte jemand die Laokoon-Gruppe mit einem Presslufthammer auseinandergesprengt.«
Anna Scarafia konnte es sich tatsächlich vorstellen.
Einer der Toten hatte doch tatsächlich das Formular einer Mietwagenfirma in der Hosentasche, informierte er sie weiter.
Von einem weißen Lieferwagen aus Grenoble. Dem weißen, den man anstelle eines blauen in einem Gewerbegebiet gefunden hat. Und zwar des blauen, der nun hier in Brüssel steht – mitsamt einem Teil seiner Ladung. Den Pestbakterien.
Hans-Peter Roth.
Anna Scarafia las gerade Fabios Mail:
Hans-Peter Roth. Nachdem beide Elternteile bei einem Zugunglück bei Hannover ums Leben kommen, landet er mit zwei Jahren im Heim, wird nach einem Jahr bei Pflegeeltern in Wiesbaden untergebracht. Die haben zwei eigene Kinder, die schon älter sind.
Als Hans-Peter vierzehn ist, adoptieren sie ihn. Kurz darauf stirbt das sechzehnjährige Mädchen bei einem tragischen Unfall. Ein defektes Kabel hat das Bettgestell aus Metall unter Strom gesetzt. Die polizeilichen Ermittlungen werden schließlich eingestellt. Kaum ein Jahr später stürzt sich ihr Zwillingsbruder von einer Eisenbahnbrücke bei Mainz in den Rhein. Als er gefunden wird, stellt man eine hohe Dosis an Schlaftabletten fest. Ein Abschiedsbrief wird nie gefunden.
Einen Tag nach Hans-Peter Roths achtzehntem Geburtstag sterben die Eltern in der Garage ihres Reihenhauses durch eine Kohlenmonoxid-Vergiftung, verursacht durch einen laufenden Automotor.
Anna Scarafia blickte auf. »Was meinst du, Han?«
Han stellte die Kaffeetasse ab. »Und Roth erbt das
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