Das Syndikat
Karen.
»Okay.« Die junge Frau stand auf und holte hinter der Theke das Gästebuch hervor. »Name, Adresse und Unterschrift.« Sie drehte es zu Karen hin und legte einen Stift dazu. »Ich sag immer, unser Scanner ist kaputt.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ist doch auch völlig bescheuert, das mit dem Chip, oder? Ich bin übrigens Iggy.«
»Karen.« Sie trug ihren Namen ein.
»Ich hatte auch mal einen Hund«, sagte Iggy mit Blick auf Gibbs, »aber er hat einen Socken gefressen und ist daran erstickt. Können Sie sich das vorstellen? Einen blöden Socken!« Sie schüttelte den Kopf und ihre kreuzförmigen Ohrringe wackelten. »Irgendwie trau ich mich nicht mehr. Ich hab Angst, dass wieder so was passiert.«
»Aber so was kommt nur ganz selten vor«, sagte Karen, während sie die Spalten ausfüllte.
»Ja, ich weiß, es ist dumm. Aber ich träum immer noch davon.« Sie tippte sich an den Kopf. »Es ist da oben drin, verstehen Sie, eingespeichert, es lässt sich nicht löschen.«
»Hm, versteh ich«, sagte Karen, gab den Kugelschreiber zurück und nahm den Schlüssel.
Iggy neigte den Kopf, um die Eintragung zu lesen. »Karen Burnett?«
»Ja ...«
»He, das ist ja witzig!« Sie bückte sich und zog etwas unter dem Tresen hervor. »Kam heute Morgen per Kurier.«
Die gerettete Zukunft. Ein dünnes Buch mit einer endlosen Ameisenstraße auf dem Deckel.
»Sind Sie Wissenschaftlerin?«, fragte Iggy neugierig. »So eine für Insekten?«
»Nein.« Absender: Helen Durban, Frankfurt las sie.
»Sorry, dass ich’s aufgemacht habe ...«
»Schon gut, kein Problem«, sagte Karen gedankenversunken. Ihre Mutter schaffte es jedes Mal von Neuem, sie zu irritieren.
»Ja, also dann, herzlich willkommen, Karen«, sagte Iggy, »übrigens, wenn Sie was essen wollen, gehen Sie ja nicht zu Wenda . Da haben sich letzte Woche zwei Gäste ’ne Salmonellenvergiftung geholt. Gehen Sie ’ne Ecke weiter, zu Mark’s Diner . Die Hamburger sind ein echtes Highlight. Vegetarisches gibt’s auch.«
»Danke, ich merk’s mir.« Karen klemmte sich das Buch unter den Arm und hängte sich ihre Reisetasche über die Schulter. »Ach, sagen Sie, Iggy, hat das Motel auch schon vor neunundzwanzig Jahren Ihrem Dad gehört?«
»Puh! Da war meine Seele ja noch in einem anderen Leben!« Sie rieb sich über den Ring in ihrer rechten Augenbraue. »Nein. Er hat’s erst später übernommen. Warum?«
»Ich war schon mal hier mit meiner Mom. Da war ich vier.«
»Das ist ja witzig!« Iggy kicherte. »Und warum kommen Sie jetzt wieder?« Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund. »Oh, sorry, Ihre Mom ist gestorben, oder? Und Sie machen so ’ne Art Erinnerungstour ...«
»Nein, nein. Ich hab mal gedacht, sie wär gestorben.«
»Hm ...« Iggy legte die Stirn in Falten und schien angestrengt nachzudenken.
Karen wandte sich um. »Und danke nochmals, wegen Gibbs.«
»Gern geschehen. Ich mag Hunde. Obwohl manche Leute seit Neuestem ganz schön Stimmung machen gegen Hunde.«
»Ja?«
»Ein Labrador hat einen Säugling aus dem Kinderwagen gezerrt. Ist letzten oder vorletzten Monat passiert. Die Besitzerin hat ihn erschossen. Ging durch die ganze Presse.« Iggy verzog das Gesicht. »Manche sagen, es kommt von den Chips, die sie den Hunden in den Nacken schießen. Mit Codenummern und so, na ja. Der Mann von der Hundebesitzerin hat angeblich bei Belling gearbeitet, Sie wissen schon, dieser Rüstungsladen hier in der Nähe.«
Karen wurde hellhörig und stellte die Reisetasche wieder ab.
»He, ich hab Ihnen doch jetzt keine Angst gemacht, oder? Das wollte ich wirklich nicht, ich glaub eher, das liegt an den Besitzern, die ihre Hunde einfach nicht im Griff haben, außerdem war ein starkes Gewitter, der Hund hat vielleicht Panik gekriegt ... Aber erschreckend ist das schon, ich meine, die Menschen haben doch jetzt auch so was.« Iggy schüttelte den Kopf und sagte dann leise: »Ich hab mich bis jetzt gedrückt. Aber im Winter wollte ich zu meinem Onkel nach Florida fliegen. Ohne die Impfung lassen die mich doch nicht ins Flugzeug ... Vielleicht bleib ich einfach hier.«
»Hm«, machte Karen und dachte an Thierry, der sich allem verweigert hatte und jetzt irgendwo in der Abgeschiedenheit lebte.
War das die einzige Lösung, um sich wieder unabhängig zu fühlen und nicht manipuliert? Sie nahm die Reisetasche auf und ging hinaus. Gibbs folgte ihr.
Die Zimmer erreichte man über die Außentreppe, die hinauf zu einem offenen Gang führte. Die Zahl 19
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