Das System
seine Sensoren auf den M1 gerichtet waren. Ein hörbares Luftholen zeigte
Shepard, dass die Militärs, die mit ihr durch die dreißig Zentimeter dicke Panzerglasscheibe des Bunkers starrten, ebenso
gespannt waren wie sie. Zwar kannte sie das Verhalten des AT-1 besser als jeder hier, denn schließlich |121| hatte sie seine künstliche Intelligenz am Clarke Institute for Advanced Technologies entworfen. Aber dennoch konnte man nie
exakt voraussagen, wie sich die Maschine verhalten würde. Schließlich musste sie ihre Aufgabe unabhängig von jeder menschlichen
Hilfe lösen können, musste allein auf der Basis ihrer eigenen Einschätzung der Situation Entscheidungen treffen.
Panzer mit menschlicher Besatzung waren nach Meinung vieler Militärexperten ein Auslaufmodell – teuer, schwerfällig, unzuverlässig,
viel zu gefährlich. Schnellen, leichten Fahrzeugen, die mit ungeheurer Präzision zuschlagen konnten, gehörte die Zukunft.
Doch die Fernsteuerung über Funk oder Laser war zu störanfällig und wies Sicherheitsprobleme auf. Die Lösung waren autonome
Kampfsysteme wie der AT-1. Sie erhielten einen Befehl, zum Beispiel in Form eines Bildes des zu zerstörenden Ziels. Den Rest
erledigten sie dann selbständig.
Wenn der Test heute erfolgreich verlief, war dem Team um Shepard ein Meilenstein auf dem Weg zu intelligenten, autonomen Waffensystemen
gelungen. In den Kriegen der Zukunft würde es jede Menge Schrott geben, aber kaum noch Verwundete oder Tote. Jedenfalls redete
sich das Shepard immer ein, wenn sie wieder einmal von Gewissensbissen gequält wurde.
Der AT-1 schoss aus seiner Deckung hervor wie ein Gepard, der zum tödlichen Sprint auf eine Gazelle ansetzt. Er beschleunigte
mit der ganzen Leistung seines 800 PS starken Motors. Sand und kleine Steine wurden aufgewirbelt, als er dem M1 nachjagte.
Er war viel schneller als sein Opfer, denn er musste keine Menschen transportieren und brauchte deshalb auch keine Panzerung.
Mit seinen sechs einzeln aufgehängten, computergesteuerten Rädern konnte er auch schwierigstes Gelände in großer Geschwindigkeit
bewältigen. So hatte er den M1 bald eingeholt.
»Warum schießt er nicht?«, fragte eine dunkle Stimme.
|122| Shepard fuhr herum. Kein Wunder, dass Colonel Lewis nervös war. Seine Chancen, in den Generalstab aufzusteigen, hingen vom
Erfolg des AT-1-Projekts ab. Und er hatte recht – eigentlich hätte der AT-1 längst seine Rakete abfeuern können. »Optimale
Schussdistanz«, murmelte Shepard ohne große Überzeugung.
Der AT-1 drosselte die Geschwindigkeit und fuhr hinter dem großen Panzer her wie ein Hund, der seinem Herrchen folgt. Der
M1, der vom Kommandobunker aus ferngesteuert wurde, erreichte das Ende der abgesteckten Teststrecke und hielt an. Der AT-1
stoppte ebenfalls. Einen Augenblick geschah nichts.
»Tja, das war’s dann wohl«, sagte General Rodrick. Die anderen Militärs nickten und erhoben sich von ihren Sitzen.
»Es tut mir leid«, sagte Lewis. »Eine Fehlfunktion. Wir werden das sofort überprüfen. Bei der nächsten Demonstration …«
»Es wird keine nächste Demonstration geben«, sagte der General. »Es tut mir leid, John, aber Sie hatten Ihre Chance.« Seine
Stimme klang freundlich, aber darunter war die Härte zu spüren, die den legendären Ruf des Mannes innerhalb der Army ausmachte.
General Rodrick, so hieß es, hatte keine Freunde, und seine Feinde lebten nicht mehr. Lewis nickte nur.
Shepard versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Sie wandte den Blick ab und sah hinaus auf das Testgelände.
Der M1 stand immer noch am Ende der Teststrecke, doch der AT-1 war nirgends zu sehen. »Sir …«, sagte sie, während sie das
Gelände absuchte.
»Dr. Shepard?«
»Er ist verschwunden, Sir.«
»Verschwunden?«
»Der AT-1.«
Nun hatte sie die Aufmerksamkeit des Generals und aller anderen Beobachter. Sie versammelten sich neben ihr an der |123| Glasscheibe. Plötzlich gab es eine gewaltige Explosion. Der riesige M1 wurde ein paar Meter in die Luft geschleudert und dann
von einem Feuerball eingehüllt. Als sich die Rauchwolken verzogen hatten, sah man, dass der Geschützturm des Panzers sauber
vom Fahrgestell abgetrennt worden war und neben dem Wrack lag.
»Ein bisschen spät, aber immerhin«, sagte der General. Es klang nicht so, als wenn er seine Meinung über das Projekt geändert
hätte.
»General, ich bin sicher …«, setzte Colonel Lewis an. Doch in diesem
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