Das System
Knäckebrot
mit Käse, ein halber Apfel und ein leerer Müsliteller. »Möchtest du was trinken? Ich habe allerdings nur Tee, Wasser oder
Milch.«
»Nein, danke.« Mark hatte sich in der U-Bahn einen Becher Kaffee und ein belegtes Baguette gekauft. Er hatte nicht viel geschlafen,
aber vor allem vermisste er eine Dusche und frische, saubere Kleidung.
Lisa machte sich einen grünen Tee und setzte sich zu ihm. »Erzähl«, sagte sie und musterte ihn mit großen, schwarzen Augen.
Mark schilderte die Ereignisse von der Aufsichtsratssitzung bis zu seiner Flucht und seinen Verdacht, dass jemand DINA manipuliert
haben könnte. Lisa hörte ihm schweigend zu.
»Wirst du mir helfen herauszufinden, wer es getan hat?«, fragte er, als er geendet hatte.
Lisa sah ihn einen Moment lang schweigend an. »Du hast es getan«, sagte sie mit ruhiger Stimme.
Mark war irritiert. »Lisa, du musst mir glauben, ich war es nicht! Die Polizei ist hinter mir her. Meinst du, ich würde herkommen
und dich um Hilfe bitten, wenn ich der Mörder wäre?«
»Du hast ihn vielleicht nicht erschlagen, aber du hast Ludger auf dem Gewissen«, sagte Lisa. »Du und deine Investoren mit
eurer verdammten Geldgier. Ihr habt mit dem Feuer gespielt, und jetzt bekommt ihr die Quittung.«
Mark sah Lisa verständnislos an. »Was meinst du damit?«
»Erinnerst du dich noch, als du mich entlassen hast wegen |114| der Diebstähle?« Mark sah betreten auf den Frühstückstisch. Er erinnerte sich nur zu gut daran. »Ich habe dir damals gesagt,
dass ich es nicht war. Und ich habe dir gesagt, dass etwas mit DINA nicht stimmt. Aber du hast nicht zugehört. Die einfache
Erklärung, dass die Göre von der Straße rückfällig geworden ist, war dir lieber als die Idee, dass etwas mit deiner großartigen
Software nicht in Ordnung ist und die Investoren vielleicht Panik kriegen könnten.«
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Mark hatte es damals als Ausflucht abgetan. Schließlich war die Beweislage eindeutig:
Die wiederholten Diebstähle, dann der präparierte Geldschein in Lisas Portemonnaie. Und außerdem hatte sie eine Zeitlang auf
der Straße gelebt, und da war es naheliegend, dass … Mark spürte, wie er rot wurde. Sie hatte ihn gewarnt. Sie hatte ihn schon
vor Monaten gewarnt, dass jemand in der Firma ein falsches Spiel trieb.
Was, wenn die Diebstähle fingiert gewesen waren? Wer immer DINA manipuliert hatte, hatte vielleicht Lisa auf diese Weise elegant
aus dem Weg geräumt. Weil sie ihm schon damals auf die Schliche gekommen war. Wenn er nicht so verbohrt gewesen wäre, wenn
er seine Vorurteile gegenüber Lisa unterdrückt und ihr noch eine Chance gegeben hätte, könnte Ludger jetzt noch leben. Sie
hatte recht: Er war schuld am Tod seines Freundes.
Er schluckte. »Lisa … ich weiß nicht, was ich sagen soll … es tut mir leid …«
Lisa antwortete nicht. Ihre Lippen waren zusammengepresst, und ihre Augen schienen ihn zu durchbohren.
»Wirst du … wirst du mir helfen?«, fragte er.
»Nein.« Ihre Stimme war fest.
»Lisa, bitte … ich habe sonst keine Chance mehr …«
In ihrem Blick lag nur Verachtung. »Du hast deine Chancen gehabt.« Sie stand auf, ging in ihr Arbeitszimmer und schaltete
einen der Computer ein.
Er folgte ihr. »Was … was tust du?«
|115| Sie drehte sich nicht um. »Ich finde heraus, wer Ludger ermordet hat«, sagte sie. »Und glaub mir, ich tue es nicht für dich.«
Mark holte sich einen Stuhl aus der Küche und setzte sich in respektvollem Abstand neben sie. Nachdem der Rechner hochgefahren
war, glitten ihre Finger über die Tastatur wie spinnenhafte Wesen mit eigenem Willen. Sie saß kerzengerade und reglos vor
dem Monitor, als sei sie ein Teil der Maschine geworden. Ihre großen Augen blinzelten kaum. Während Mark sie beobachtete,
wurde ihm klar, dass er Lisa noch nie wirklich bei der Arbeit beobachtet hatte. Er wusste, dass sie gut war, aber er hatte
keine Ahnung gehabt von der Intensität und Konzentration, mit der sie bei der Sache war.
Auf dem Monitor öffneten sich Internetseiten und Systemfenster wie Blätter, die vom Wind durcheinandergewirbelt werden. Immer
wieder erschienen die grauen Fehlermeldungsboxen des Windows-Betriebssystems. Lisa ließ sich davon jedoch nicht beirren.
Nach einer Weile wechselte sie in den Kommandozeilen-Modus. Der Bildschirm wurde schwarz und füllte sich mit unverständlichen
weißen Textzeilen. Es sah aus, als unterhielte sie sich per
Weitere Kostenlose Bücher