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Das System

Das System

Titel: Das System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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bebte, wenn er gemeinsam mit Jürgen, dem Bassisten, im Takt von »Satisfaction« in die Luft
     sprang.
    Ungefähr fünfhundert Besucher, überwiegend in den Vierzigern, waren zum Classic-Rock-Festival in die Markthalle gekommen.
     Die Stimmung war ausgelassen. Ungers Band »Shallow Pink« war die zweite von vier Bands, die Hits aus der großen Zeit des Rock
     spielten. Es war einfach ein unglaubliches Gefühl, auf einer richtigen Bühne zu stehen. Und entgegen aller Befürchtungen,
     die ihm nach der miserablen Probe gestern Abend gekommen waren, klappte das Zusammenspiel großartig. Die Leute waren völlig
     aus dem Häuschen.
    Olaf röhrte so laut ins Mikrofon, dass Unger sicher war, |129| der Sänger würde nach diesem Auftritt drei Tage lang nicht mehr sprechen können. »I can’t get no … satisfaction … but I try,
     I …«
    Ohrenbetäubendes Kreischen ertönte. Sicher eine Rückkopplung. Unger warf Olaf einen Blick zu, der verwirrt sein Mikrofon anstarrte
     und dann hilfesuchend zum Mischpult in der Saalmitte hinübersah. Der Tontechniker dort zuckte nur mit den Schultern. Unger
     versuchte weiterzuspielen, in der Hoffnung, das schreckliche Geräusch würde von selbst verschwinden, doch seine Gitarre war
     in dem Krach kaum auszumachen. Es hörte nicht auf. Seine Ohren begannen zu schmerzen. Die Leute im Publikum hielten sich die
     Ohren zu.
    Endlich klang das Geräusch ab. An seine Stelle trat eine drückende Stille, die nur erfüllt war von einem Piepen in Ungers
     überlasteten Ohren. Der Tontechniker hatte keine andere Möglichkeit gesehen, als die Gesamtlautstärke auf Null zu reduzieren.
    »Okay, Leute, da haben wir wohl ein kleines technisches Problem«, sagte Olaf. »Gleich geht’s weiter.« Da seine Stimme nicht
     mehr verstärkt wurde, hörte ihn kaum jemand. Ein allgemeines Gemurmel erhob sich, das immer lauter wurde. Ratlos sahen sich
     die Bandmitglieder an – alle bis auf Rudi, der verzweifelt an seinem Computer herumklickte.
    Jetzt war Unger alles klar. Er hatte es gleich für eine schlechte Idee gehalten, statt eines Hardware-Samplers den Laptop
     mit auf die Bühne zu nehmen. Aber Rudi hatte darauf bestanden, mit der Begründung, die Computersimulation der Hammond-B3-Orgel
     von Native Instruments sei besser als jeder Sampler. Der bisherige Verlauf des Konzerts hatte ihm recht gegeben – es war wirklich
     erstaunlich, wie dicht das virtuelle Instrument an das alte, über hundert Kilo schwere Original heranreichte. Selbst der wabernde
     Klang und das Übersteuern der rotierenden Leslie-Lautsprecher wurden täuschend echt wiedergegeben. Aber was nützte das alles,
     wenn mitten im Konzert der Rechner abstürzte?
    |130| Unger hatte Mühe, seine Wut im Zaum zu halten. »Schmeiß den Laptop raus und nimm den Sampler«, brüllte er.
    Rudi nickte nur. »Dauert bloß ein paar Sekunden«, sagte er und stöpselte ein paar Kabel um. Endlich gab er dem Tontechniker
     das Daumen-hoch-Signal.
    »Okay, Leute, sorry für die kleine Panne«, sagte Olaf. »Wir fangen noch mal an. One, two, three …«
    Das Licht ging aus. Nur die grünlichen Notausgang-Leuchten waren noch zu sehen. Stromausfall, ausgerechnet jetzt! Olaf fluchte
     so laut, dass es auch ohne Mikrofon im ganzen Saal zu hören war. Einige Leute lachten.
    Plötzlich ertönte das Heulen von Sirenen. Unregelmäßige auf- und abschwellende Töne, die keinem festen Muster zu folgen schienen.
     Es war eine schreckliche, geisterhafte Musik.
    Unruhe breitete sich im Publikum aus. Ein paar klatschten, offensichtlich in dem Irrglauben, dass dies zur Show gehörte, doch
     ihr Applaus verebbte schnell.
    Das Licht ging wieder an. »Test, Test«, sagte Olaf über die PA. Immer noch heulten die Sirenen. Einige Leute bewegten sich
     in Richtung des Ausgangs. Unger spürte, wie die Stimmung von Verunsicherung zu blanker Panik zu kippen drohte. Irgendjemand
     hielt ein tragbares Radio ans Ohr.
    Endlich verstummte das Heulen. Stille trat ein.
    »Weiß jemand, was da draußen los ist?«, fragte Olaf über die Lautsprecher.
    Einer der Mitarbeiter der Markthalle kam auf die Bühne. »Kein Grund zur Beunruhigung«, sagte er ins Mikrofon. »Gerade kam
     eine Radiodurchsage. Bei dem Sirenenalarm handelt es sich um eine Fehlfunktion. Das Konzert geht wie geplant weiter.«
    Ralf gab das Tempo vor, indem er seine Drumsticks aneinanderschlug. Unger spielte das berühmte Gitarrenriff, das den Stones-Hit
     einleitete. Doch irgendwie klang es nicht mehr so wie vorher. Die

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