Das System
vierten Stock eines der großen, denkmalgeschützten Wohngebäude aus
Gelbklinker, die von vielen Architekten als Meisterwerke der Nachkriegs-Baukunst bewundert wurden, für Normalsterbliche allerdings
einfach nur scheußlich aussahen. Mark sah nicht genau, wie Lisa es machte, aber es dauerte nur ein paar Sekunden, bis die
Tür aufsprang.
»Ich hab immer gedacht, so was geht nur in Filmen«, sagte er.
Lisa lächelte nicht. »Auf der Straße lernt man so einiges.« Vorsichtig traten sie in das kleine Apartment. Die Vorhänge waren
zugezogen, als sei Rainer lichtscheu gewesen. Neben einem kleinen Flur, dem Bad und der Küche hatte die Wohnung nur ein großes
kombiniertes Wohnschlafzimmer mit einem Bett, einem großen Schreibtisch und einem schmalen Kleiderschrank. Die Wände waren
kahl. Alles wirkte sehr ordentlich und sauber.
Lisa wandte sich dem Schreibtisch zu, auf dem ein PC und |142| ein Laserdrucker standen. Sie fuhr den Computer hoch. Auf dem Monitor erschien nach einiger Zeit ein Fenster mit einem Eingabefeld.
Darüber stand: »This system is Endless Enigma Encryption protected. Copyright 3E Software, Inc. Please enter password:«
»Mist«, sagte Lisa.
»Was ist?«
»Ich kenne dieses Programm. ›Endless Enigma‹ ist eine Software, die alle Daten auf der Festplatte verschlüsselt. Keine Chance,
da ohne das Passwort ranzukommen.«
»Kann man es nicht irgendwie knacken? Ich meine, du weißt doch, wie so was geht.«
»Das ist ein 1024-Bit-Schlüssel. Das kannst du vergessen.«
»Dann müssen wir eben das Passwort herausfinden. Die meisten Leute verwenden doch einen Begriff aus ihrem täglichen Leben
oder schreiben sich das Passwort irgendwo auf.« Er begann, die Schubladen des Schreibtischs aufzuziehen, fand jedoch nur einige
Stifte, ordentlich ausgerichtet, etwas unbeschriebenes Papier und einige Versandtaschen in C5-Größe.
»Die meisten Leute, ja, aber nicht Rainer. Du weißt doch, was für ein Gedächtnis er hatte. Ich bin sicher, er hat sich einen
zufälligen Buchstaben-Zahlen-Code mit 100 Stellen ausgedacht. So was konnte er sich problemlos merken. Das kriegen wir nie
raus.«
»Aber es muss doch irgendeinen Hinweis geben!«
Sie begannen, die Wohnung systematisch zu durchsuchen. Es gab nur wenige persönliche Dinge, so als habe Rainer hier nur vorübergehend
ein paar Tage verbracht. Auf einem Nachtschrank neben dem Bett stand das Porträt einer älteren Frau, vermutlich seine Mutter.
Im Kleiderschrank neben dem Bett hingen makellos gebügelte Hemden und Hosen, ein Bücherregal war mit Fachliteratur der unterschiedlichsten
Richtungen beladen: Informatik, Mathematik, Psychologie, Ethnologie, |143| Biologie, Evolutionstheorie, Astronomie. Es gab nicht einen einzigen Roman.
Es war frustrierend, wie ordentlich alles dalag. Sogar die Papierkörbe waren geleert. Als habe Rainer vor seinem Tod noch
einmal gründlich aufgeräumt, um möglichst keine Spuren seines Lebens zu hinterlassen. Aber vermutlich war die übertriebene
Ordnung Teil seiner autistischen Veranlagung.
Während Mark den Kühlschrank untersuchte, in dem einige frische Lebensmittel und ein paar tiefgefrorene Fertiggerichte lagerten,
hörte er Schritte vor der Wohnungstür. Jemand machte sich am Schloss zu schaffen. Die Polizei war schneller gewesen, als er
vermutet hatte.
Mark stellte sich neben den Eingang. Ehe Lisa sich ebenfalls verstecken konnte, öffnete sich die Tür. Durch den Spalt zwischen
den Angeln sah Mark den jungen Kommissar namens Dreek. Er zog umständlich seine Pistole aus dem Schulterhalfter und richtete
sie auf Lisa. »Wer sind Sie? Und was machen …« Weiter kam er nicht. Mark packte sein Handgelenk und rammte es gegen die Türkante.
Dreek schrie auf. Sein Griff um die Pistole lockerte sich. Mark wand sie ihm aus der Hand und richtete sie auf ihn.
»Dreek?« Kommissar Unger drängte mit gezogener Waffe in die Wohnung.
Mark hielt die Pistole an Dreeks Schläfe. »Waffe runter!«, sagte er und schloss die Tür.
Unger legte die Pistole auf den Fußboden und hob langsam die Hände. »Machen Sie keinen Quatsch, Helius! Sie kommen sowieso
nicht weit!«
»Halten Sie die Klappe und hören Sie zu«, sagte Lisa. »Er war es nicht, und ich auch nicht. Wir beide suchen den wahren Mörder,
und Sie sollten das besser auch tun!«
»Verdammt, Helius, Sie reiten sich nur noch tiefer rein«, sagte Unger mit ruhiger, aber energischer Stimme. »Nehmen Sie jetzt
sofort die Waffe
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