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Das System

Das System

Titel: Das System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ihn fragend an. »Ist das so? Ich kenne eine ganze Menge Leute, die am liebsten alle Autos abschaffen würden.
     Es ist ihnen bisher nicht gelungen. Durch das Auto sind sicher schon viel mehr Menschen umgekommen, als Leben dadurch gerettet
     wurden. Von den unzähligen Kriegen um das Erdöl und der Umweltzerstörung ganz zu schweigen!«
    Er zeigte auf einen Blumentopf mit blauen Stiefmütterchen auf der Fensterbank. »Ich weiß, es klingt ein bisschen paranoid,
     aber es ist eine simple Tatsache: Wir werden von den Dingen, die wir herstellen, manipuliert. Genau wie die Blumen die Bienen
     manipulieren. Bienen benutzen die Blumen, indem sie ihren Nektar trinken. Blumen benutzen die Bienen, indem sie ihren Pollen
     an deren Beine heften. Wer kontrolliert da wen? Der Evolution ist das völlig egal. In Jahrmillionen hat sie die Blumen wunderschöne
     Blüten entwickeln lassen. Diese Blüten haben nur den einen Zweck, das Verhalten der Bienen zu manipulieren. Es ist ein System
     wechselseitiger Abhängigkeit, das eine fast unendliche Vielfalt von Lebensformen hervorgebracht hat.«
    Weisenberg stand auf, holte eine Tafel Schokolade aus seiner Schreibtischschublade und legte sie auf den Konferenztisch. »Jetzt
     gehen Sie mal in einen großen Supermarkt«, sagte |254| er. »Dort sehen Sie, wie Evolution in der Wirtschaft funktioniert. Zehntausend Produkte konkurrieren da um Ihre Aufmerksamkeit
     und versuchen, mit subtilen und weniger subtilen Methoden Ihr Verhalten zu beeinflussen. Ich habe das mal nachgezählt: Da,
     wo ich diese Schokolade gekauft habe, in einem mittelgroßen Supermarkt, gibt es einhundertvierundfünfzig verschiedene Sorten
     von siebzehn Herstellern. Allein sechsundzwanzig verschiedene Tafeln Vollmilchschokolade, von denen jede einzelne wahrscheinlich
     kein bisschen anders schmeckt als diese hier. Einhundertvierundfünfzig Sorten! Wer braucht so viel Auswahl? Niemand! Die Leute
     stehen ratlos vor den Regalen, und am Ende fallen sie den Lockungen der Werbung zum Opfer.
    Der einzige Grund, weshalb es so viele verschiedene Schokoladensorten gibt, ist das Evolutionsprinzip. Die Hersteller konkurrieren
     um die Kunden. Sie probieren verschiedene Geschmacksrichtungen, verschiedene Verpackungsgestaltungen, verschiedene Preise,
     verschiedene Marketingstrategien aus. Das, was funktioniert, wird kopiert und dann weiter verbessert. Reproduktion, Mutation,
     Selektion, bis in alle Ewigkeit. Am Ende haben wir mehr Schokolade, als wir jemals essen können. Und brauchen wir diese Schokolade?
     Hat vielleicht irgendjemand beschlossen, dass es gut für die Menschheit wäre, mehr Schokolade zu essen? Sicher nicht! Der
     volkswirtschaftliche Schaden im Gesundheitssystem, der durch zu viel Zucker entsteht, ist viel größer als der Gesamtumsatz
     der Schokoladenindustrie!«
    Mark starrte die Tafel an, als könne sie ihn jeden Moment anspringen und erwürgen. Konnte es sein, dass Weisenberg recht hatte?
     »Zugegeben, zu viel Schokolade ist ungesund«, sagte er. »Aber die Menschen wollen sie nun mal. Und es ist eine bewusste Entscheidung
     der Schokofabriken, welche herzustellen. Wir könnten ja jederzeit einfach damit aufhören.«
    »Ach ja? Glauben Sie das wirklich? Glauben Sie, ein Fabrikvorstand könnte einfach beschließen, keine Schokolade |255| mehr herzustellen? Seine Firma wäre bald pleite. Sehr wahrscheinlich würden ihn die Aktionäre vorher einfach absetzen und
     einen anderen Vorstand holen, der dafür sorgt, dass weiter Schokolade produziert wird. Genauso, wie die Bienen nicht einfach
     beschließen können, nicht mehr auf die Lockungen der Blumen hereinzufallen, können wir nicht aufhören, Produkte zu kaufen,
     Autos zu fahren, das Internet zu benutzen, uns immer neue Dinge auszudenken. Die Evolution benutzt uns, ob wir wollen oder
     nicht. Wir sind nicht die Krone der Schöpfung. Wir sind ihre Lakaien.«
    »Na gut«, sagte Mark. »Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht war es zwangsläufig, dass Pandora entstanden ist. Aber das heißt
     noch lange nicht, dass wir uns geschlagen geben müssen. Vielleicht manipulieren uns Maschinen und Schokoladentafeln, wie Blumen
     Bienen manipulieren. Aber wir sind keine Bienen, wir sind Menschen, und Menschen haben einen freien Willen und einen Verstand.
     Wir müssen ihn nur benutzen! Ich für meinen Teil habe jedenfalls nicht vor, mich einfach so geschlagen zu geben.« Er zeigte
     auf das Bild von Eva Weisenberg. »Rainer Erling hatte offenbar ein enges Verhältnis

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