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Das System

Das System

Titel: Das System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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passieren musste.«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Mark.
    »Evolution«, sagte Weisenberg. »Ein intelligentes System ist eine zwangsläufige Folge der Evolution.«
    »Aber Evolution ist doch ein biologischer Vorgang!«
    Weisenberg schüttelte den Kopf. »Evolution ist ein mathematisches Prinzip. Es ist ganz einfach: Sie vervielfältigen etwas,
     die Kopien sind nicht exakt identisch, und einige Kopien funktionieren besser als andere. Die besseren Kopien werden mit einer
     höheren Wahrscheinlichkeit kopiert, und so weiter. Reproduktion, Mutation, Selektion. Wenn diese drei Elemente vorhanden sind,
     dann haben Sie Evolution, ob Sie wollen oder nicht. Das ist ein simpler Algorithmus. Er findet Anwendung in der Biologie,
     aber genauso in der technischen Entwicklung.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass Autos, Flugzeuge und Computer quasi von selbst entstanden sind, so wie das Leben auf der Erde?«
    »Natürlich nicht ohne menschliches Zutun. Aber sie sind auch nicht gezielt entwickelt worden, von Anfang an, meine ich. Niemand
     hat sich in der Steinzeit hingesetzt und gesagt, irgendwann werden wir mal in stinkenden Blechkisten herumfahren, aber dafür
     muss ich jetzt erst mal das Rad erfinden. Überlegen Sie doch mal, wie technischer Fortschritt funktioniert: Jemand erfindet
     etwas, er hat vielleicht eine grobe Vorstellung davon, was seine Erfindung bezwecken soll. Aber am Ende wird sie vielleicht
     vollkommen anders benutzt. Als Konrad Zuse den Computer erfand, hat er wohl kaum damit gerechnet, dass irgendwann Jugendliche
     damit Jagd auf virtuelle Außerirdische machen würden. Vor fünfzig Jahren glaubte James Watson, der Gründer von IBM, dass es
     auf der ganzen Welt einen Bedarf von höchstens einem |252| Dutzend Computern gäbe. Heute gibt es dreimal so viele Computer wie Menschen auf der Erde. Und es werden immer mehr.«
    Weisenberg nahm einen Schluck von seinem Tee. »Überlegen Sie mal. Wer beherrscht denn heute wirklich diesen Planeten? Sie
     glauben vielleicht, die Menschen seien die Herren der Schöpfung. Aber wie sähe das für einen Außerirdischen aus, der zum ersten
     Mal bei uns landet? Er würde als Erstes lauter metallene Geschöpfe sehen, die auf vier Gummirädern durch die Gegend wuseln.
     Vielleicht würde er sie Öltrinker nennen. Es würde so aussehen, als hätten die Öltrinker sich Helfer gezüchtet, die sie reproduzieren
     und mit Nahrung versorgen. Diese Helferwesen führen sogar Kriege um die Nahrung für die Öltrinker, und sie bauen mehr und
     mehr Auslaufflächen, auf denen die Öltrinker leben. Nach und nach wird der ganze Planet so umgestaltet, dass er optimale Lebensbedingungen
     für den Öltrinker bietet, während die ursprünglichen Lebensformen, Bäume und Gras zum Beispiel, immer mehr zurückgedrängt
     werden.« Weisenberg seufzte. »In Science-Fiction-Filmen wird immer wieder das Szenario heraufbeschworen, dass irgendwann in
     ferner Zukunft die Maschinen die Herrschaft über die Erde übernehmen. Wenn Sie mich fragen, ist das schon längst geschehen.
     Wir haben es nur noch nicht gemerkt.«
    Mark sagte einen Moment lang nichts. Er wusste nicht, ob Weisenberg ein Genie war oder einfach nur paranoid. »Aber Autos sind
     doch nicht lebendig!«, stieß er schließlich hervor.
    Weisenberg nickte. »Nein, das sind sie nicht, jedenfalls nicht nach unserer gängigen Definition von Leben. Aber das ist auch
     nicht wichtig. Die Evolution wirkt auch auf unbelebte Dinge, solange sie reproduziert werden und der Mutation unterliegen.
     Nehmen Sie Grippeviren: Die sind auch nicht lebendiger als Autos. Im Gegenteil: Autos haben immerhin einen eigenen Stoffwechsel,
     Viren nicht. Und versuchen Sie mal, eine allgemeingültige Definition des Wortes |253| ›Lebewesen‹ zu finden, die Algen, Staatenquallen und Ameisen einschließt, aber Städte nicht.«
    Mark dachte einen Augenblick darüber nach. In der Tat: Jede Definition von Leben, die er sich vorstellen konnte, hatte etwas
     mit Stoffwechsel und Selbstreproduktion zu tun. In gewisser Hinsicht erfüllten Städte diese Kriterien durchaus. Und waren
     nicht auch vielzellige Lebewesen wie der Mensch im Grunde nichts anderes als riesige Städte, komplexe Lebensgemeinschaften
     von Milliarden einzelner Zellen? Ein interessanter Gedanke. Trotzdem …
    »Aber wir bestimmen doch, was wir tun«, sagte er. »Wir haben Autos geschaffen, weil sie uns nützen. Wenn wir keine Autos mehr
     wollten, würden wir sie einfach abschaffen.«
    Weisenberg sah

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