Das Tagebuch der Eleanor Druse
von meinem Gehirn machen und mich dann wieder heim nach Lewiston schicken könnten. Dr. Massingale kann mich dort weiterbehandeln.«
Während unserer Unterhaltung hatte Dr. Metzger auf Claudias Stuhl Platz genommen.
»Nun ja«, sagte er. »Dr. Massingale hat Sie hierher überwiesen und uns gebeten, die Aufnahmen von Ihrem Gehirn zu machen, aber sie hat uns auch damit beauftragt, Sie von Kopf bis Fuß durchzuchecken, Mrs. Druse. Wie ging es Ihnen denn vor diesem Unfall? Hatten Sie ungewöhnliche Sinneswahrnehmungen oder Hinweise auf irgendwelche Anfälle? Hatten Sie merkwürdige Gefühle oder ungewöhnliche Gedanken?«
Er öffnete eine Akte und schien sich auf eine längere psychiatrische Untersuchung einzurichten, für die er mir bestimmt ein hübsches Honorar abknöpfen würde. Außerdem wollte er offenbar die Anamnese in Hörweite einer anderen Patientin durchführen, die ich noch nicht einmal kennen gelernt hatte.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich und drehte mich in Richtung auf das andere Bett. »Sie sind doch meine Zimmernachbarin, nicht wahr?«
Dr. Metzger lächelte und machte mit der Hand eine beruhigende Geste. »Sie müssen keine Angst haben, Ihre Nachbarin zu stören, Mrs. Druse. Sie ist momentan … nicht ansprechbar.«
»Liegt sie im Koma?«, fragte ich.
»Nicht direkt. Aber sie kann uns nicht hören. Nein, das stimmt nicht ganz. Sie kann das, was wir reden, nicht verarbeiten.«
»Hat sie vielleicht auch einen Namen?«
»Ja. Nancy Conlan. Sie ist jetzt schon – lassen Sie mich nachdenken – mehrere Monate hier. Sie ist …« Er machte eine Handbewegung, die wohl bedeuten sollte, dass sie für immer weggetreten war.
Ich senkte trotzdem die Stimme. »Ich brauche keinen Psychiater, Dr. Metzger.« Ich sagte das höflich, fast freundlich.
Es gab keinen Grund, patzig zu werden. Noch nicht.
»Wahrscheinlich haben Sie Recht«, gab er zu, »aber wenn Sie schon mal hier bei uns in Boston sind, wollen wir so viel wie möglich ausschließen. Wir würden gerne noch ein paar Aufnahmen und einige Tests machen, damit wir wissen, was wirklich mit Ihnen los ist.«
Er führte das nicht weiter aus. Was war denn los mit mir?
»Was genau zeigen die Aufnahmen?«, fragte ich. »Wäre es vielleicht möglich, auf ihnen meine hochentwickelte Fähigkeit für mystische Erfahrungen zu erkennen?«
Fast hätte er losgelacht, aber im letzten Moment fing er sich wieder. Ein Tiefflieger, dachte ich verächtlich. Einer, dem das Spirituelle – sei es in seinem eigenen Leben oder dem anderer Menschen – vermutlich völlig egal ist.
»Die Aufnahmen sind so teuer, dass wir sie bisher nur zur Diagnose und Behandlung lebensgefährlicher Erkrankungen anfertigen, zumindest hier in diesem Krankenhaus.«
Ich kannte ihn noch nicht gut genug, um ihm unverblümt meine Meinung zu sagen, aber eines war klar: Ganz gleich, ob ich nun einen Gehirntumor hatte oder nicht, meinen fünfundsiebzig Jahre alten Schädel würde niemand mehr aufmeißeln. Das kam überhaupt nicht in Frage, und von so einem wie diesem Dr. Stegman würde ich mich gleich gar nicht operieren lassen. Alles, was ich von Metzger wollte, waren ein paar von diesen interessanten Hirnaufnahmen und EEGs, die er mit einer simplen Unterschrift seines Montblanc-Füllers anfordern konnte.
»Ich bin mir durchaus bewusst, dass diese Gehirnaufnahmen sehr teuer sind«, sagte ich. »Haben Sie übrigens in der New York Times gelesen, dass sich auch der Dalai Lama brennend für solche Dinge interessiert?«
»Nein, der Artikel muss mir wohl entgangen sein.«
»Er hat sich schon mehrmals in Amerika mit Neurowissenschaftlern getroffen, die Aufnahmen von Gehirnen meditierender Zen-Mönche gemacht haben.«
»Interessant«, sagte er. »Heute Nachmittag machen wir eine Magnetresonanzaufnahme von Ihnen. Vielleicht können Sie sich ja mit dem Dalai Lama darüber austauschen.«
»Keine schlechte Idee. Wenn Sie meine Aufnahmen genau untersuchen, werden Sie eine außergewöhnlich hohe Aktivität in den Gehirnregionen feststellen, die man mit positiven Emotionen wie Mitgefühl, Rücksichtnahme und Spiritualität verbindet.«
Zumindest tat er so, als würde er sich dafür interessieren.
»Ich bin mir sicher, dass wir Anzeichen für Ihre … Spiritualität entdecken werden, Mrs. Druse. Ich würde mich auch gerne mit Ihnen über einige Ihrer mystischen Erfahrungen unterhalten. Dr. Massingale hat in Ihrer Krankengeschichte erwähnt, dass Sie über gewisse … Gaben verfügen.«
Hm.
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