Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Wenn Metzger sich für diese Gaben interessierte, war er vielleicht doch nicht so ein spiritueller Tiefflieger, wie ich dachte.
    »Wie soll ich es Ihnen beschreiben? Ich bin außergewöhnlich empfänglich für die Welt der Geister, für Wunder und die Einheit aller Lebewesen und Dinge. Manchmal wird diese Fähigkeit auch als nonduales Bewusstsein bezeichnet. Kennen Sie James Austins Buch Zen und das Gehirn?«
    »Nein. Aber vielleicht sollte ich es lesen«, sagte Metzger.
    »Meditieren Sie denn?«
    »Jeden Tag. Außerdem bete ich.«
    »Ich habe Sie nach seltsamen Wahrnehmungen und Sehstörungen gefragt, weil es nichts Ungewöhnliches ist, dass Patienten Auren oder andere Dinge sehen und epileptische Anfälle haben, ohne sich dessen bewusst zu sein. Subjektiv erleben manche von ihnen diese Symptome als eine Art Tagtraum oder ein mystisches Erlebnis. Hatten Sie beispielsweise Visionen? Haben Sie Stimmen gehört? Haben Sie eine unsichtbare Wesenheit wahrgenommen?«
    Ich lächelte und behielt meine Gedanken für mich.
    Stattdessen tat ich so, als versuchte ich mich zu erinnern.
    Schulmediziner können rücksichtslos sein, wenn man ihnen intime Details aus seinem spirituellen Leben anvertraut. Für sie sind Imagination, religiöse Andacht und mystisches Bewusstsein nur Symptome für eine Geisteskrankheit.
    »Visionen? Nicht, dass ich wüsste«, sagte ich. »Nur die gesteigerte Achtsamkeit, die sich beim Meditieren einstellt.
    Auch an Stimmen kann ich mich nicht erinnern. Aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Sie denken an das alte Zitat von Thomas Szasz, nicht wahr? ›Wenn man mit Gott redet, dann betet man, wenn Gott mit einem redet, dann ist man schizophren.‹ Geht es bei Ihren Fragen darum?«
    Vermutlich war Metzger nicht darauf gefasst, dass ihm eine verrückte Mittsiebzigerin mit Zitaten berühmter Kollegen konterte.
    »Ja, der alte Szasz. Gutes Zitat. Ich kenne es«, sagte er.
    »Aber wir stellen all diese Fragen nach Auren und möglichen Anfällen nur deshalb, weil diese Dinge im Gehirn großen Schaden anrichten können. Dem Patienten mögen sie unangenehm und beängstigend vorkommen, aber auch angenehm und transzendental, in Wirklichkeit sind sie nichts anderes als elektrische Entladungen. Da werden Neuronen freigesetzt, und unsere Gehirnzellen sind diesen ständigen Entladungen nicht gewachsen. Man betätigt die Spülung einer Toilette ja auch nicht viele Male hintereinander. Durch die Entladungen werden die Gehirnzellen überlastet und gehen schließlich kaputt wie eine Batterie, die zu stark beansprucht wurde. Aber im Gegensatz zu Batterien kann man Gehirnzellen nicht durch neue ersetzen.«
    »Abgestorbene Gehirnzellen sind schlimm«, sagte ich.
    »Besonders für einen jungen Menschen.«
    Ich sah, dass ihm meine Antwort zu denken gab. Hatte ich angedeutet, dass es für einen alten Menschen nicht schlimm wäre?
    »Ich schlucke nicht gerne Medikamente, Dr. Metzger. Wenn Sie also darauf hinauswollen, dass ich irgendwelche Medizin einnehmen soll, dann vergessen Sie’s.«
    Mein Präventivschlag im Hinblick auf eine medikamentöse Behandlung schien ihn zu irritieren, und ich sah, wie er eine Entgegnung vorbereitete. Also nahm ich vorausschauend eine beschwichtigende Haltung ein.
     
    »Vielleicht überzeugen mich ja die Gehirnaufnahmen davon, dass ich doch Medikamente brauche. Das kann man darauf doch erkennen, oder? Warum sollte man sie denn sonst überhaupt anfertigen?«
    »Die Aufnahmen werden uns Aufschluss über die frische Blutung geben, die Sie bei Ihrem Sturz erlitten haben und möglicherweise auch über die etwas ältere Verletzung im Stirnlappen. Apropos, das erinnert mich an etwas …«
    Er blätterte durch seine Papiere, zog einen Bericht heraus und überflog ihn rasch.
    »Ach ja. Der Radiologe hat sich die Bilder von diesem Fleck im Stirnlappen angesehen und meint, es handle sich dabei um eine Narbe, die fast so aussieht, als ginge sie auf eine transorbital verursachte Verletzung zurück.«
    Ich sah ihn an und wartete auf eine Erklärung.
    Er legte den Zeigefinger an eine Stelle zwischen Lid und linker Augenbraue.
    »Eine Verletzung durch die Augenhöhle«, sagte er. »In etwa hier. Hatten Sie als Kind eine Kopfverletzung? Sind Sie auf einen scharfen Gegenstand gefallen? Oder hat Ihnen jemand einen Stock oder einen Stift ins Auge gestochen? Irgendwas in der Art?«
    Ich schüttelte den Kopf. »An so etwas würde ich mich bestimmt erinnern«, sagte ich.
    »Bestimmt«, wiederholte er. »Vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher