Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
Vom Netzwerk:
Vier Orte waren mit einem roten Kreis markiert. Zwei mit einem X. Beide befanden sich in Castleton Corners, Staten Island. Eines markierte den Parkplatz, an dem das Auto ausgebrannt war, das andere das Haus der Whites. Mein Verdacht bestätigte sich. Die restlichen vier Mädchen wohnten nicht auf Staten Island. Sie wohnten in Brooklyn und Manhattan. Wenn der Mörder demnach den Verdacht auf mich lenken wollte, dann war ein Hausbrand, bei dem ich fahrlässig gehandelt hatte, das einzige Mittel, um die Behörden auf mich aufmerksam zu machen. Und dieses Haus musste in meinem Einsatzbereich liegen. Deshalb musste Patricia sterben.
    Hiller machte eine Kopie der letzten unfertigen Zeichnung aus dem Atelier und legte sie in eine Mappe. Dann reichte er mir die Fotos mit den Oberkörpern der Mädchen. Es waren die Bilder vom Ausdruck, den er mir auf der Fähre gezeigt hatte. Allerdings waren diese Fotos größer und schärfer. Unter den Bildern stand jeweils der Name.
    Melissa Brighton. Sie war das Mädchen, das bei dem Autobrand ums Leben gekommen war. Das Bild war in einem Garten aufgenommen worden. Melissa lachte. Dunkle, schulterlange Strähnen wehten um ihre Nase. Die Augen strahlten, als wäre dieser Tag der schönste ihres Lebens gewesen. Auf den Zeichnungen meines Vaters und im Sarg hatte sie ein rotes Kleid getragen. Auf diesem Bild trug sie ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift Disney-Land Miami.
    Brenda Williams. Sie saß in ihrem Rollstuhl auf einer Theaterbühne. Vielleicht eine Schulaufführung, da links und rechts Arme und Beine von anderen Kindern in Kostümen zu sehen waren. Ihre fülligen , roten Locken fielen über die Schultern und reichten beinahe bis zum Bauch. Unzählige Sommerspross en sammelten sich um die Nase u nd obwohl sie auf dem Bild blass und krank aussah, konnte man in ihren hellbraunen Augen ein Leuchten erkennen. In diesem Augenblick war Brenda stolz. Vielleicht hatte sie eine Rolle in dieser Aufführung gehabt und sich für diesen einen Augenblick nicht als behinderten Menschen sondern als Schauspielerin gesehen? Und vielleicht träumte sie ganz kurz von einer großen Karriere? Auf dem Bild trug sie ein violett schillerndes Kleid, das aus einem Historienfilm stammen könnte. Auf den Zeichnungen meines Vaters war es grün.
    Peggy-Sue Andrews. Das Foto war auf einem Jahrmarkt aufgenommen worden. Im Hintergrund war ein Karussell zu sehen. Peggy hielt ein en Eis lutscher in der Hand. Ihre braunen Strähnen waren vom Wind zerzaust und ich vermutete, dass sie kurz davor mit dem Karussell gefahren war. Auch ihre blauen Augen strahlten, als würde sie in diesem Augenblick nicht an einen Rollstuhl gefesselt sein, sondern immer noch in dem Karussell sitzen und durch die Luft fliegen. Auf ihrem blauen T-Shirt prangte die Aufschrift Life‘s great . Auf den Zeichnungen meines Vaters trug sie ein gelbes Kleid.
    Vivian Hamada. Aus dem Bild sprühte die pure Lebenslust. Sie wirkte wie ein Mädchen, das stundenlang in der Wiese herumgetollt war und sich nur kurz zum Ausruhen hingesetzt hatte . Die Haare standen in fünf Zentimeter langen Büscheln vom Kopf ab und gaben dem Gesicht eine gehörige Portion Dreistigkeit. Die hellen , blauen Augen hatte sie ein wenig zusammengekniffen, als mochte sie in diesem Augenblick nicht fotografiert werden. Dennoch erkannte ich ein Lächeln auf den Lippen. Ihr Gesichtsausdruck schien zu sagen: »Du kannst ruhig abdrücken, aber nett dreinschauen tu ich auf gar keinen Fall.« Auf dem Foto trug sie eine ausgewaschene Jeansjacke über einem weißen Shirt – auf den Zeichnungen me ines Vaters ein orange farbenes Kleid.
    Obwohl ich Patricias Bild bereits auf der Fähre eingehend betrachtet hatte, berührte es mich wieder in einer Art, die abermals den Zorn in mir schürte. Unter ihrem Bild stand kein Name, was ich damit erklärte, dass es sich bei Patricia nicht um ein vermisstes Mädchen handelte, sondern ihr Mord erst durch meinen Hinweis mit der Entführung der Mädchen in Zusammenhang gebracht worden war. Wieder sah ich sie in diesem Rollstuhl sitzen. Wieder krallte sie ihre Finger in die Lehnen. Wieder fraßen sie die Flammen bei lebendigem Leib auf. Und wieder fragte sie mich: »Warum hast du mir das angetan, Eddie?«
    Das Klingeln von Hillers Telefon riss mich aus meinen Gedanken. Er hob ab und horchte. Dann sagte er »Okay.« und legte auf. Er starrte ein paar Sekunden auf das Telefon und blickte mir dann fest in das Gesicht. »Der Tote auf Hart Island … «,

Weitere Kostenlose Bücher