Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
es durch meinen Schädel, als hätte ich während meines Schlafes an nichts anderes als dieses Buch gedacht.
Es lag mit der Puppe in meinem Wagen und schien nach mir zu rufen, schien mit den Sonne n strahlen durch den dreckig roten Vorhang zu leuchten und mich aufzufordern, es endlich zu lesen.
Ich drückte mich hoch und humpelte unter Höllenschmerzen zur Tür, sperrte sie auf und holte das Buch aus dem Wagen.
Nach dem Stand der Sonne musste es Nachmittag sein und mir wurde erst in diesem Augenblick bewusst, dass ich mein Handy – verständlicherweise – im Appartement liegen gelassen hatte. Ich fühlte mich hilflos, würde gerne mit Dave telefonieren, ihm sagen, was alles passiert war, ihn um Hilfe bitten. Aber ich war auf mich allein gestellt.
Ich schaffte es mit Mühe zurück in das Bett und versuchte eine Position zu finden, in der die Schmerzen im Oberschenkel erträglich waren. Ich fand keine. Immer wieder durchzuckte ein Brennen das Bein und nach und nach glaubte ich zu spüren, wie der Schmerz durch meinen Unterkörper in Richtung Herz kroch. Ich brauchte einen Arzt. Aber dafür fehlte mir momentan die Kraft. Zuerst musste ich mich ausruhen. Und Patricias Tagebuch lesen.
Ich schlug es auf und betrachtete die Blume, die auf der ersten Seite gemalt war. Eintrag um Eintrag las ich, spürte, wie mir Patricia immer näher kam, als würde sie mit jedem gelesenen Wort mehr ein Teil von mir.
Als ich den Eintrag mit ihrem Colliewelpen Tommy las, stockte mir der Atem. Ich hatte ebenfalls einen Hund mit diesem Namen. Tommy war mir zugelaufen und wie Patricias Hund, war auch er unter die Räder eines Wagens geraten. Mein Vater versuchte alles , den Kleinen zu retten. Er schrie meine Mutter an, den Küchentisch mit Kunststofffolie abzudecken, holte sein Chirurgenbesteck aus dem Schlafzimmer und begann Tommy zu operieren. Eine Bl utung im Bauchbereich, sagte er, u nd dass er die verletze Arterie finden und die Blutung stoppen müsste. Wenn für Tommys Leben eine Chance bestünde, dann war das die einzige.
Meine Mutter drückte mich an sich und wollte mit mir die Küche verlassen, aber ich wollte unbedingt bei Tommy bleiben. Ich sah, wie mein Vater den Unterleib aufschnitt, wie er in die Eingeweide griff und nach der Blutung suchte. Aber er fand sie nicht. Er meinte, er müsste den gesamten Hinterleib abtrennen, um etwas zu finden und selbst dann hätte Tommy keine Chance. Er schüttelte den Kopf. Es war das erste Mal, dass ich meinen Vater weinen sah.
Wir hatten Tommy im hinteren Teil des Gartens begraben. Gleich hinter dem Kohlenschacht, der in den alten Keller führte. Tommys Tod hatte mich tief getroffen und an der Reaktion meiner Eltern erkannte ich, dass auch sie den kleinen Wildfang ins Herz geschlossen hatten. Wir hatten nach Tommy nie wieder ein Haustier.
Patricia schrieb von ihrer Trauer und ich spürte, wie das Tagebuch mir diesen Schmerz vermittelte, als wäre es mein eigener. Sie gab sich die Schuld an Tommys Tod und meinte, dass ihre Mutter sie nur aus diesem Grund nach der Schule in dieses Tages heim schickte.
D ann starb ihr Vater. Sie schrieb immer wieder von einer Dunkelheit, die in ihr Leben trat – eine ausweglose Finsternis, die sie mehr und mehr einschloss. I n diesem undurchdringlichen , schwarzen Nebel tauchte Eddie auf. Wie ein Raubtier hatte er sich an sie herangeschlichen. Wie eine S chlange hatte er sie umkreist, u nd jetzt war der Moment gekommen, i n dem Eddie zuschlagen konnte. Und er tat es. Die restlichen Seiten waren vollgeschrieben mit einem einzigen Satz: EDDIE IST BÖSE.
Ich erkannte die Verzweiflung, mit der dieser Satz geschrieben wurde. Ich erkannte den Hilferuf, der in ihm steckte. Und ich wusste, dass es zu spät war.
Das Tagebuch zitterte in meinen Händen. Es strahlte Hitze aus, die meine Arme und meinen Oberkörper ergriff. In diesem Moment wusste ich, dass nicht nur Patricias Geist in diesem Buch steckte. Es war auch Any, die durch das Buch mit mir in Verbindung treten wollte. Wie damals, als ich in mein Tagebuch schrieb und sie mir alle Antworten in Form von Bildern lieferte. Any wollte mir etwas sagen, etwas Wichtiges. Und ich ließ es zu.
Sie zeigte mir Sandra und Eddie. Sandra verwandelte sich in eine Schlange und stülpte sich über ihn. Mehr und mehr verschwand Eddie in ihrem Körper, bis sich schließlich Eddies Konturen im Körper der Schlange abzeichneten, größer wurden und sich die Schlange in Eddie verwandelte. Dann begann Eddie zu brennen. Feuer
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