Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
Anfang war es noch unscharf, kaum zu erkennen, aber es war da. Es wurde immer klarer, bis ich schließlich die ganze Szene mit ansehen musste. Ich habe gedacht, dass es die Zukunft ist. Dabei war es die Vergangenheit.«
Ich erzählte Dave von Any und den Bildern, die sie mir gesandt hatte. Von den Träumen, dem Wolf und der Schlange, von meiner Mutter, von Tommy und schließlich von meinem Vater.
» Mister Reynolds«, sagte Dave. »Du hast mir nie Genaueres von ihm erzählt, nur dass er ein verfluchtes Arschloch war und er sich angezündet hat.«
»Mist. Ich habe gehofft, du wüsstest nähere Details.«
»Nein. Nur, dass er Neurochirurg war. Und ein Arschloch.«
»Du verarscht mich, oder?« Das Wort Neurochirurg passte ganz und gar nicht in das Bild, das ich von meinem Vater hatte. Ein saufender, prügelnder, arbeitsloser Penner schien passend, aber auf gar keinen Fall Neurochirurg .
Dave schüttelte den Kopf. »Nein. Ganz sicher Neurochirurg. Es war dir unangenehm darüber zu sprechen, hast immer gesagt, dass du das mit dir selbst ausmachen musst.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe dann auch nicht mehr nachgefragt.«
»Und meine Mutter? Habe ich dir erzählt, wie sie gestorben ist?«
»Nein. Gar nichts. Dass sie tot ist, hast du mal erwähnt. Aber wie und wann – keine Ahnung.«
Dave konnte mir also in dieser Angelegenheit auch nicht weiterhelfen. Letztlich hatte das aber nichts mit meinem primären Problem zu tun. Vor allem war ich mir nicht sicher, ob es nicht ohnehin besser war, diesen Teil meines Lebens vergessen zu haben. Vermutlich waren all die Erlebnisse meiner Kindheit Teil der Ursache für meine Alkoholsucht. Sozusagen das Herz dieses Monsters, das jetzt im Sterben lag.
Ich musste herausfinden, was ich vor meinem Gedächtnisverlust bei der Brandbehörde erfahren hatte. Dave sagte mir, dass der Beamte bei der Brandbehörde Hearing hieß, und ich wahrscheinlich bei ihm nachgefragt hatte. Ich hatte mir auch den Brandbericht des Departments kopiert, wobei Dave meinte, dass darin nichts Besonderes zu lesen war. Nur dass ich nach dem Mädchen gesucht hätte und beinahe bei dieser Explosion draufgegangen wäre. Zum Zeitpunkt des Protokolls hatten wir noch nicht gewusst, dass das Mädchen doch im Haus war. Das stellte sich erst am nächsten Morgen heraus.
Dave war überzeugt, dass Patricia nicht im Haus war, und hatte keine Erklärung für die Tatsache, dass sie in ihrem Zimmer gefunden wurde.
»Wäre sie da gewesen, hättest du sie gesehen und mitgenommen. Auch wenn sie sich noch so gut versteckt hätte«, sagte er. Wieder mit dieser Überzeugung, die mich glauben machte, dass es so gewesen sein musste .
Dennoch musste es eine Erklärung für den Flammentod des Mädchens geben. Eine, die ich vielleicht schon herausgefunden hatte. Eine, die mich auf irgendeine Weise in dieses Motel geführt hatte. Eine, die mich zum Gejagten machte. Und genau diese Erklärung musste ich finden. Wie immer sie auch aussehen mochte.
Dave meinte, dass er unbedingt etwas Schlaf brauchte, denn im Gegensatz zu mir war er nicht beurlaubt und musste in knapp zwei Stunden den Dienst antreten. Er bat mich, hier auf der Couch schlafen zu dürfen. Er würde sich morgens aus dem Appartement schleichen und mit dem Taxi zur Wache auf Staten Island fahren.
Natürlich durfte er.
Ich fühlte mich wohl bei dem Gedanken, Dave in meiner Nähe zu haben. Er vermittelte mir ein Gefühl der Sicherheit, und dieses Gefühl hatte ich seit meinem Erwachen in dem Motel nicht mehr gehabt. Er versprach, sich bei mir zu melden, sobald der Dienst es zuließ, und erinnerte mich in diesem Zusammenhang daran, mein Handy nicht wieder liegen zu lassen.
Auch wenn ich nach wie vor Angst hatte , einzuschlafen und mich wieder der Gefahr auszusetzen, irgendwelchen Schwachsinn aus meiner Kindheit zu träumen, hatte ich vor, mich in mein Bett zu legen. Ich hatte das Handy mitgenommen , weil Dave mir riet, meine Mitteilungen abhören. Es wären auch von ihm drei oder vier auf der Sprachbox. Wir hatten versucht, es noch im Wohnzimmer einzuschalten – vor allem weil ich fürchtete, mich mit diesem Scheißding nicht zurechtzufinden – , aber offenbar war der Akku leer. »War zu befürchten«, sagte Dave und riet mir im Schlafzimmer nach dem Ladegerät zu suchen. Ich hät te mein Telefon immer während ich schlief aufgeladen und war trotzdem erreichbar gewesen. Daher war er überzeugt, ich würde neben meinem Bett fündig werden.
Ich wurde fündig.
Dave
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