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Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
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Edelholz, den man aus Aufbahrungshallen kennt. Auf dem Foto befand sich nur eine schlichte Holzkiste. Laienhaft zusammengezimmert. Mit einer handgeschriebenen Nummer an der Seitenwand. Der Deckel war aufgebrochen. Das Innere des Sarges war nicht zu erkennen.
    Die Schlagzeile des Berichtes lautete: Grabschänder auf Hart Island .
    Ein Grab wäre geschändet worden, stand in dem Bericht. Jemand hatte eines der Gräber geöffnet, einen Sarg aus der Erde gezogen, aufgebrochen und offen liegen gelassen.
    Soweit stand in dem Bericht nichts, was mich aufhorchen ließ. Nur der letzte Satz fuhr in mein Gehirn wie ein Samuraischwert in Götterspeise: Bei der geschändeten Leiche handelt es sich um ein Bra ndopfer .
    Mein erster Gedanke war absurd. Ich dachte, es wäre Patricia gewesen, deren Grab entweiht worden war. Doch im selben Moment wurde mir klar, dass Patricia nicht auf Hart Island beerdigt worden wäre . Dort wurden nur diejenigen New Yorker hin gebracht, die sich ein Begräbnis auf einem herkömmlichen Friedhof nicht leisten konnten oder es sich nicht leisten wollten . Verbrecher. Drogensüchtige. Penner. Nein. Es handelte sich nicht um Patricia.
    Aber warum berührte mich dieses Foto in diesem Ausmaß? Ich war überzeugt, dass die Zeitung wegen dieses Bildes auf den Tisch gelegt worden war. War dieses aufwühlende Gefühl in mir die Folge dieses Traumes, in dem ich Anys Sarg geöffnet hatte? Oder – und diese Option schien mir die wahrscheinlichere – war der Traum die Folge des Bildes? Dies würde jedoch bedeuten, dass ich das Bild b ereits zuvor gesehen hatte.
    Oder war alles nur Einbildung?
    Wieder versuchte mein Gehirn, eine plausible Erklärung zusammen zu reimen. Eine Reinigungsfrau. Das Appartement wirkte sauber. Kein Staub. Nicht auf den Regalen. Auch nicht auf dem Tisch. Als wäre alles vor kurzem abgestaubt worden. Sie könnte die Zeitung auf den Tisch gelegt haben. Es wäre denkbar. Und logischer als ein Fremder, der einen Schl üssel besitzt und die Zeitung hin legt, nur damit ich dieses Bild finde.
    Letztlich war ich davon überzeugt, dass ich in jeder Zeitung etwas finden würde, das in welcher Art auch immer etwas in mir auslöste. Die Ereignisse des letzten Tages saßen zu tief, um nach fünf Stunden Schlaf wieder vergessen zu sein. Ich nahm mir vor, Vorsicht walten zu lassen und mich von diesem aufflackernden Wahnsinn nicht weiter kontrollieren zu lassen.
    Ich musste mich auf Hearing konzentrieren, musste ihn anrufen und herausfinden, womit ich Recht gehabt hatte. Alles andere würde sich in dieses Puzzle einfügen. So oder so.
    Hearing wirkte aufgeregt. Er klang nicht wie ein Ermittlungsbeamter, der mir etwas nachweisen wollte. Viel mehr machte er den Eindruck, froh zu sein, mich auf seiner Seite zu haben. Scheinbar hatte ich ihm den entscheidenden Anstoß gegeben. Einen Hinweis, der seine Ermittlungen in eine andere Richtung gelenkt hatte. Aber er informierte mich am Telefon nicht, welcher Hinweis das gewesen sein konnte. Natürlich nicht. Selbstverständlich ging er davon aus, dass ich wusste, was ich ihm gesagt hatte. Hearing betonte nur noch einmal, dass ich Recht gehabt hatte. Er hätte es nicht geglaubt, gab er zu. Aber die Untersuchungsergebnisse würden meine Äußerungen bestätigen. Ich könnte jederzeit zu ihm kommen, wenn ich nähere Details wissen wollte.
    Ich wollte. Daher vereinbarten wir für 12:00 Uhr mittags einen Termin in seinem Büro.
     
    Die Brandermittlung des FDNY zu finden war einfach. Vor allem, weil ich die Suche einem New Yorker Taxilenker überließ. Der Portier schickte mich in den fünften Stock, nannte mir die Zimmernummer und teilte mir nach einem kurzen Telefonat mit, dass Hearing bereits auf mich warten würde.
    Während die flackernden Leuchten über der Lifttür eine Stockwerknummer nach der anderen anzeigten, bemerkte ich ein seltsames Gefühl. Ich konnte es nicht einordnen, schwankte zwischen Aufregung und Angst. Beides konnte ich mir nicht erklären, da ich keinerlei Grund hatte , aufgeregt oder ängstlich zu sein. Erinnerte ich mich unbewusst an meinen ersten Besuch bei Hearing? Damals kam ich als Beschuldigter , der sich für den Vorwurf rechtfertigen musste, ein behindertes Mädchen übersehen zu haben und für dessen Tod verantwortlich zu sein. Heute kam ich, um die Untersuchungsergebnisse zu sehen, die beweisen würden, dass dieser Vorwurf zu Unrecht gegen mich erhoben worden war. Zumindest hoffte ich das. Was sonst sollte ich Hearing damals gesagt

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