Das Tal der Angst
willen, hör auf damit! Um dich darum zu bitten, bin ich heute hergekommen. Oh, Jack, schau, auf den Knien flehe ich dich an. Hier, vor dir auf den Knien, beschwöre ich dich: Hör auf damit!«
Er hob sie auf und drückte besänftigend ihren Kopf an seine Brust.
»Ach, mein Liebling, du weißt ja nicht, worum du mich da bittest. Wie soll ich denn aufhören, wenn ich damit meinen Eid breche und meine Kameraden im Stich lasse? Wenn du begreifen könntest, wie es um mich steht, würdest du mich niemals darum bitten. Außerdem, selbst wenn ich wollte, wie sollte ich es denn anstellen? Du glaubst doch nicht, daß die Loge einen Mann, der all ihre Geheimnisse kennt, einfach ziehen lassen würde?«
»Daran habe ich gedacht, Jack. Ich habe alles geplant. Vater hat etwas Geld gespart. Er ist den Ort hier leid, wo die Angst vor diesen Leuten unser Leben verdüstert. Er ist bereit zu gehen. Wir könnten zusammen fliehen nach Philadelphia oder New York, wo wir vor ihnen sicher wären.«
McMurdo lachte.
»Die Loge hat einen langen Arm. Glaubst du denn, er würde nicht von hier bis nach Philadelphia oder New York reichen?«
»Na gut, dann in den Westen oder nach England oder nach Deutschland, wo Vater herstammt. Irgendwohin, bloß weg aus diesem Tal der Angst.«
McMurdo dachte an den alten Bruder Morris.
»Das ist nun schon das zweite Mal, daß ich das Tal so nennen höre«, sagte er. »Dieser Schatten scheint ja wirklich schwer zu lasten auf einigen von euch.«
»Er verdüstert jeden Augenblick unseres Lebens. Glaubst du denn, daß Ted Baldwin uns je vergeben hat? Was glaubst du, was uns geschehen würde, wenn er keine Angst vor dir hätte? Könntest du nur diesen Ausdruck in seinen dunklen, hungrigen Augen sehen, wenn ihr Blick auf mich fällt!«
»Bei Gott! Ich werd ihm bessere Manieren beibringen, wenn ich ihn dabei erwische. Aber jetzt hör zu, Kleines. Ich kann hier, nicht weg. Ich kann nicht! Glaub mir das ein für allemal. Aber wenn du mich meine eigenen Mittel und Wege wählen läßt, will ich zusehen, daß ich eine Möglichkeit finde, ehrenhaft aus der Sache herauszukommen.«
»Bei so etwas geht es doch nicht um Ehre.«
»Na, na, das ist Ansichtssache. Aber wenn du mir sechs Monate Zeit läßt, schaff ich es so, daß ich fortgehen kann, ohne mich schämen zu müssen, wenn ich anderen ins Gesicht sehe.«
Das Mädchen lachte vor Freude.
»Sechs Monate!« rief sie. »Ist das ein Versprechen?«
»Naja, es können auch sieben oder acht sein. Aber spätestens in einem Jahr lassen wir das Tal hinter uns.«
Mehr hatte Ettie nicht erreichen können, aber es war immerhin etwas. Da war dieses Licht in der Ferne, das die Düsternis der unmittelbaren Zukunft erhellte. Sie kehrte ins Haus ihres Vaters zurück – leichteren Herzens denn je, seit Jack McMurdo in ihr Leben getreten war.
Man könnte meinen, als Mitglied des Bundes hätte er über all dessen Angelegenheiten unterrichtet sein müssen; bald sollte er jedoch herausfinden, daß die Organisation umfassender und komplexer war als die bloße Loge. Selbst Boss McGinty wußte über vieles nicht Bescheid, denn es gab noch einen Beamten mit der Bezeichnung »Großredner 33 «, der weiter streckenabwärts in Hobson’s Patch wohnte und über mehrere Logen Macht besaß, von der er heftig und willkürlich Gebrauch machte. McMurdo bekam ihn nur ein einziges Mal zu Gesicht – eine verschlagene kleine grauhaarige Ratte mit einem schleichenden Gang und einem verstohlenen Blick voller Bosheit. Evans Pott lautete sein Name, und selbst der große Boss von Vermissa verspürte ihm gegenüber etwas von dem Ekel und der Furcht, die der gewaltige Danton gegenüber dem mickerigen, aber gefährlichen Robespierre 34 verspürt haben mochte.
Eines Tages erhielt Scanlan, McMurdos Wohngenosse, von McGinty einen Brief; beigeschlossen war eine Nachricht von Evans Pott, die McGinty davon in Kenntnis setzte, daß er zwei gute Männer, Lawler und Andrews, mit dem Auftrag herüberschicke, in der Umgebung etwas zu erledigen; im Interesse der Sache sei es jedoch am besten, keine Einzelheiten über das Ziel ihres Einsatzes mitzuteilen. Ob der Logenmeister sich darum kümmern könnte, daß für ihre Unterkunft und Bequemlichkeit gesorgt wäre, bis der Zeitpunkt zum Handeln käme? McGinty schrieb ergänzend, daß im Union House niemandes Aufenthalt geheim bleiben könne und daß er daher McMurdo und Scanlan verbunden wäre, wenn sie die Fremden ein paar Tage lang in ihrer Pension aufnähmen.
Am
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