Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Dämmerung lag ein Toter, durchbohrt von zehn Schwertern. »Was für eine schreckliche Karte. Wäre es nicht der Herzog von Northumberland, dem dieses Ende droht, könnte ich Mitleid bekommen.«
»Könntet Ihr das tatsächlich?«
»Unbedingt! Und nun lasst mich sehen, was ich zu Dudleys Ende beitragen kann.«
Enoch fächerte schweigend die Karten auf und hielt sie ihm entgegen. Scheyfve griff blitzschnell zu. »Eine geschmückte Burg? Menschen in Festtagsstaat? Was soll das nun wieder heißen?«
»Ihr werdet das Nichtstun mit anderen genießen«, erwiderte Enoch trocken. »Euch erwartet ein Fest an diesem Hof.«
»Aber dazu ist es noch zu früh!«, protestierte Scheyfve. »Es gibt bei Hof nichts zu feiern, solange Edward lebt.« Rasch schlug er das Kreuz. »Ich bitte Euch, zieht Ihr noch einmal.« Er griff nach dem Stapel, mischte ihn und formte den Fächer.
Der Prophet wählte und drehte die Karte um. »Der Tod. Nun, richtig betrachtet, ist auch er ein Fest der Erlösung.«
»Was meint Ihr damit?«
»Nichts, außer dass es für mich an der Zeit ist, Abschied zu nehmen.«
IV. Teil
E RZENGEL M ICHAEL
(E INER , DER IST WIE G OTT )
D ER H ERR HAT MICH BEAUFTRAGT , DIE G EISTER DER
V ERWORFENEN ZU VERNICHTEN . E R VERLIEH MIR DIE
M ACHT , SEINEN WAHREN P ROPHETEN DIE G EHEIMNISSE DER
B ARMHERZIGKEIT UND G ERECHTIGKEIT ZU OFFENBAREN .
S O STEHT ES GESCHRIEBEN IM B UCH H ENOCH .
A CHTET MICH ALS S EELENWÄGER AM T AG DES J ÜNGSTEN
G ERICHTS . F ÜRCHTET MICH NICHT , DENN GOTT HAT MICH
ZUM F ÜRSPRECHER DER M ENSCHEN GEMACHT .
S EHT , DASS ICH EIN S TREITER G OTTES BIN , DARUM TRAGE
ICH DAS S CHWERT . W ENN ABER DER F ALSCHE DAS RECHTE
M ITTEL GEBRAUCHT , SO WIRKT DAS M ITTEL FALSCH .
R UFT MICH IN EUREN DUNKELSTEN S TUNDEN , DANN ,
WENN IHR S ATAN AM NÄCHSTEN SEID ,
DENN ICH BIN SEIN B EWZINGER .
F ARBE: PURPUR, ORANGE
T IER : D RACHE
T AROKARTEN : G ERICHT UND E RLÖSUNG
Michaels Botschaft: Seid mit mir, wenn die Welt gegen euch ist.
Seid Teil der Schöpfung und ihre Schöpfer zugleich.
1.
G REENWICH P ALACE
S AMSTAG, 1. J ULI IN DER N ACHT
»Ich habe Euch noch nicht von Euren Pflichten entbunden!«
Der Prophet stand auf und verneigte sich voller Würde. »Ich werde auf dem Fest erscheinen und meiner gottgegebenen Pflicht nachkommen.«
»Was soll das heißen?«
»In der Heilkunst heißt es: Similia similibus curentur – Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt. Dieses Fest wird Dudleys Totentanz sein. Ich fühle es deutlich.«
Ein Zittern ging durch seinen mageren Leib. Er setzte den rechten Fuß vor, zog den linken nach. Sank wieder auf den rechten, hob sich auf dem linken nach oben, tat wieder einen Schritt, hinkte mit dem linken Bein nach. Seine Arme schlenkerten unkontrolliert nach allen Seiten. Er glich einer grotesken Gliederpuppe, die von einem fernen Fluch gelenkt wurde.
Nein!, schoss es Scheyfve durch den Kopf. Vom Teufel! Herrjemine, der Kerl war ein Dudley-Mann, und darum lautete sein Rat: »Nichtstun«!
Der Seher drehte sich im Türrahmen um. »Wenn Ihr unbedingt etwas tun wollt, dann ladet Lunetta van Berck zu dem Fest ein.«
Scheyfve erbleichte. »Das werde ich nach allem, was geschehen ist, ganz sicher nicht tun! Die van Bercks haben schon genug unter meinen Eskapaden gelitten. Frau van Berck hat geschworen, nie mehr einen Fuß an den Hof zu setzen.«
Enoch lächelte. »Euch wird bestimmt etwas einfallen, das sie reizen wird. Zur Not grüßt sie im Namen des Mannes, der ich einmal war: Aleander von Löwenstein.«
Scheyfve schüttelte verwirrt den Kopf. »Von Löwenstein? Das ist der Name ihres Vaters. Ihr seid mit Frau van Berck verwandt?«
»Weit mehr als das, Scheyfve. Lunetta van Berck vermochte früher den Teufel an die Wand zu malen, um ihn zu bannen. Es wird ihr eine Genugtuung sein, mir dabei zuzusehen, denn ich allein vermag ihn auch zu vernichten.«
2.
G REENWICH P ALACE
S ONNTAG, 2. J ULI AM M ORGEN
Auf dem Wasser schaukelten Boote und Kähne. Die Themse vor Greenwich war an Sonntagen ein beliebtes Ziel für Flusspartien. Um dem üblichen Pesthauch der City zu entgehen, steuerten Bürger in Mietbarken und Handwerker in übervollen Fischerkähnen die Kais beim Palast an. Man weidete sich an dessen Pracht und hoffte einen Blick auf die Höflinge zu erhaschen, die sich – umtobt von prachtvollen Hunden – zu Jagdritten versammelten.
Wäre der Himmel nicht steingrau und von Wind zerpeitscht gewesen, hätte auch an diesem Sonntag alles den
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