Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Reformierten seid so prüde wie verführbar. Das Verbotene lockt euch wie der Apfelbaum im Garten Eden. Ich traue diesem König so wenig wie jedem anderen Reformer, zumal Dudley ihn wie eine Puppe führt. Edward ist ein willenloses Werkzeug des Bösen.«
»Du irrst.« Cass biss sich auf die Lippen. Sie wollte keine religiösen Dispute mit Antoine führen. Sie wollte überhaupt keine Dispute mit ihm führen. Sie wollte ihn lieben, einfach lieben, verdammt. Sie zügelte ihren flammenden Zorn. »Das Einzige, was zählt, ist, dass du Edward guttust. Seit du bei Hof bist, geht es mit seiner Gesundheit aufwärts. Seine Wangen haben Farbe angenommen.«
»Du scheinst ihn sehr genau zu kennen und zu beobachten.«
»Nicht mehr als andere.«
»Es heißt, seine Tage verprasseln wie Regen.«
Cass öffnete entsetzt den Mund. »Nein! Nein. Es ist nur ein unbekanntes Fieber. Seine Ärzte werden ihn retten. Edward muss leben, sonst wird es zum blutigen Bürgerkrieg um den Glauben kommen, wie auf dem Kontinent! Keiner, der an Gott glaubt und seinem Gewissen folgt, soll in diesem Land je wieder als Ketzer sterben.«
»Und daran glaubst du?«
Cass nickte. »Daran glaube ich. Daran glaube ich wirklich.«
»Wie reizend und vergebens. Ihr türmt Gebirge von Hoffnungen auf die schmalen Schultern dieses Knaben. Wie auch immer, er ist kein Messias, der über das Wasser laufen kann, sondern ein Sterblicher wie wir alle.«
»Antoine, bitte schweig. Erst gestern hat man vor den Toren der City einen Mann verbrannt, der von Edwards Krankheit sprach. Hierzulande ist es Hochverrat, wenn man über den möglichen Tod des Königs spekuliert!«
»Spekulieren? Wie ich höre, spuckt Edward nachts schwarzes Blut und riecht, wenn sein Kammerherr Sidney ihn seiner parfürmierten Kleidung entledigt, nach Verwesung. Stimmt das?«
»Wie sollte ich das wissen?« Cass presste die Lippen aufeinander. Neugier war das größte Laster des Marquis. Das Laster aller Höflinge.
Der Marquis nahm einen Schluck Wein, verzog den Mund und schüttete den Rest des Becherinhalts zu dem benutzten Waschwasser. »Wieder dieses saure Gesöff. Ihr versteht wirklich nichts von den sinnlichen Freuden des Lebens. Eure Reformation tötet jede Lust.«
»Antoine, wie kannst du das sagen! Wäre es so, würde ich dich nicht begehren und lieben«, flüsterte Cass in die Stille.
»Wenn du von der Liebe so viel verstehst wie von der Lust, dann bist du wahrlich nicht mehr als eine verdorrte Betschwester. Ich ließ dich eben teuerstes Patschouli riechen. Was für eine Verschwendung! Jede Französin hätte es in Raserei versetzt, aber dir scheint einzig der Geruch von jungfräulichem Lavendel oder Weihrauch vertraut.«
Was trieb de Selve dazu, so ungerecht und grausam zu sein? Mal warf er ihr Ungestüm vor, dann wieder einen Mangel an Leidenschaft. Cass stemmte sich aus den Kissen hoch. Ihre Augen loderten wie die Flammen eines Ketzerfeuers.
»Ich verabscheue Weihrauch. Er ist Teil des katholischen Priesterzaubers. Er vernebelt die Gedanken der Gläubigen und verschleiert das Licht der Wahrheit. So wie Mönche und Papisten es seit Jahrhunderten tun.«
Antoine de Selve legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend auf.
»Ma petite! Wut steht dir noch besser als französische Häubchen. Und bei Weitem besser als Demut. Sie macht dich zum lauernden Raubtier. Der Geruch brennender Mönchskutten und verkohlender Nonnenschleier entflammt also deine Leidenschaft? Ich dachte es mir.«
Cass schob die Decken zur Seite und sprang aus dem Bett. Mit wenigen Schritten war sie bei de Selve. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, während sie ihn von unten her anfunkelte. Ihre Stimme klang dunkel, fast bedrohlich.
»Wie kannst du so etwas Widerwärtiges sagen? Für die Wahrheit Gottes sind in England, in Deutschland, in Holland und auch in deiner Heimat Frankreich mehr Menschen durchs Feuer gegangen, als es in England Mönche gibt. Sie sind unendlich qualvoll gestorben, wie ...« Sie brach ab.
De Selve hob abwehrend die Hände. »Spar mir deine Predigten! Du und ich, wir wissen, wie rasch du deine heiligen Wahrheiten vergisst, wenn unsere Leiber miteinander sprechen. Und der meine ist katholisch, durch und durch. So inständig wie ihr Protestanten um das Leben Edwards betet, so inständig bete ich um seinen Tod. Das Volk braucht eine starke Hand, es braucht kein Recht auf Disputationen. Was soll einer mit der Freiheit, seinen Kopf zu gebrauchen, anfangen, der sein Leben lang nur
Weitere Kostenlose Bücher