Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
seinen verschlagenen Ränken dienst?«
»Meine Mutter gab alles hin für Gott. Ihr ganzes Glück. Ich wünschte, ich wäre wie sie.«
»Das tust du nicht. Du willst leben, du willst dein Dasein auskosten, und du willst die Macht, dein Schicksal frei zu gestalten! Genau wie ich. Führe ich dich etwa nicht in Versuchung?«
Cass zitterte. Sie spürte, dass ein Korn Wahrheit in dem steckte, was Antoine de Selve sagte. Sie hatte nie für ihr Seelenheil sterben wollen wie ihre Mutter. Schon gar nicht, nachdem sie den Marquis kennengelernt hatte. Und das nicht nur, weil sie verliebt war.
Als habe er ihre Gedanken gelesen, fuhr der Marquis fort: »Dich fasziniert der Duft der Macht. Der Herzog von Northumberland verströmt ihn überreich.«
»Ich hasse Dudley!«, schrie Cass erbost.
De Selve stand nun direkt vor ihr. Sie maßen einander mit Blicken.
»Bon, das klingt ehrlich. Lass uns endlich offen miteinander sein.«
Er zog das sich sträubende Mädchen an seine Brust, zerwühlte mit seiner freien Linken ihr Haar und führte seinen Mund an ihr Ohr.
»Dein Hass ist berechtigt. Männer wie Dudley sind Verräter und Heuchler.«
Cass erstarrte. War de Selve der Verbündete, den sie immer gesucht hatte? Ein Mensch, so zerrissen wie sie? Heiß strömte sein Atem in ihr Ohr, doch Cass begann unter seinen Worten zu frieren.
»Du bist keine Närrin, Cass! Benutze deinen Verstand. Dudley betrügt ganz England im Namen der Reformation, die in Wahrheit ein Schlachtfest eures Adels ist. Er und seine Anhänger bereichern sich seit Heinrichs Herrschaft systematisch am Kirchenschatz. Sie verwandeln Abteien in Landhäuser, graben medizinische Kräutergärten für alberne Blumenbeete um, zerstören die klösterlichen Äcker der Armenfürsorge, um sie als Jagdgründe zu nutzen. Sie alle haben im Namen des Glaubens ihren Reichtum vergrößert und ihre Macht über das Volk in Tyrannei verwandelt. Sie sind Gott! Und darin sind sie sehr erfolgreich. Begreifst du?«
Eine Mischung aus Abscheu und Bewunderung lag in de Selves Stimme, als er fortfuhr.
»Dudley hat erkannt, dass das Christentum nichts anderes ist als ein einträgliches Märchen für die Masse. Darin liegt seine Stärke. Wer das Glaubensgeschwätz durchschaut und für seine Zwecke nutzt, kann die Welt regieren.«
Cass versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Ihr schwindelte.
»Das ist nicht wahr!«, rief sie hilflos aus. »Das ... Nein! Edward ist anders. Er wird den Reichtum der Kirche in die Gründung von Schulen und Hospitälern stecken, er wird das Gemeindeland wieder für die Bauern freigeben, er bringt die Bibel unter das Volk. Er will, dass alle nach dem Evangelium Gottes leben.«
»Oh heilige Einfalt! Das hat schon sein Vater versprochen und alle Kirchgelder und Spenden in die eigene Kasse fließen lassen, um den Adel zu kaufen und seinen Prunk zu finanzieren. Er hat sich von Rom gelöst, um die Hure Anne Boleyn zu heiraten. Er hat aus Geilheit und Gier ein Volk verraten!«
»Edward ist anders«, wiederholte Cass verzweifelt. »Er will den Armen und den einfachen Menschen helfen, er will eine Nation nach den Gesetzen der Barmherzigkeit gestalten. Er wird ein großer König sein ...«
»Er stirbt, und die Reformation wird mit ihm untergehen. Maria wird den Thron besteigen und die Messe wieder einführen. C’est tout.«
»Das wird nicht geschehen. Edward wird eine Dynastie des Glaubens hinterlassen, keine des Blutes! Er hat die Thronfolge geändert und Jane Grey eingesetzt ...« Cass brach entsetzt ab.
De Selve nickte. »So ist es recht, kleine Verräterin, nun kenne ich euer nächtliches Geheimnis! Du darfst deine Belohnung empfangen.« Er riss sie an sich und presste seinen Mund auf ihren.
Cass befreite sich von ihm, taumelte gegen den Bettpfosten und griff Halt suchend nach hinten. Sie spuckte seinen Kuss aus und wischte sich über den Mund. Ihre Augen blitzten wie Waffenstahl.
Wie erstaunlich, ihre Kraft brach nicht, sie wuchs. Noch mehr erstaunte den Marquis, wie groß die Begierde war, die dieses Mädchen in ihm weckte. Größer, als ihm lieb war.
»Du bist widerwärtig! Wie konnte ich mich so in dir täuschen!«, zischte Cass.
»Nicht du hast dich in mir getäuscht, sondern ich habe mich in dir getäuscht«, erwiderte de Selve. »Wir sind beide vom selben Temperament. Mach dich frei von allem Glaubensgeschwätz und genieße, was diese Welt uns zu bieten hat.«
Er drängte sie mit all seiner Kraft gegen den Pfosten, schob ihr Flachshemd hoch,
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