Das Tattoo
weiterführen - später, wenn wir wieder im Hotel sind.”
„Klingt wundervoll. Also gut, bringen wir erst mal das hier hinter uns.”
„Hast du immer noch Angst?”
Sie schaute durch die Windschutzscheibe. Da war eine kleine Gruppe von Kindern, die von einem Gebäude zum anderen ging. Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass die Kinder, da heute Samstag war, wahrscheinlich zum Sport gingen.
„Nein, ich habe keine Angst. Jedenfalls nicht vor diesem Ort hier oder vor diesen Leuten. Mich macht nur verrückt, dass es Dinge von mir gibt, an die ich mich nicht erinnere.”
Clay öffnete ihr die Tür und griff nach ihrer Hand. „Komm jetzt, Baby. Wir werden den Drachen gemeinsam töten.”
Als Frankie ausstieg, fuhr ihr der Wind scharf ins Gesicht und strich ihr mit eisigen Fingern über den Nacken. Sie erschauerte.
„Ist dir kalt?” fragte Clay..
„Ein bisschen.”
„Dann lass uns rennen”, sagte er und nahm sie bei der Hand.
Als sie den Eingang erreichten, lachten sie atemlos, und Fran kies düstere Stimmung war wie weggeblasen. Clay riss immer
noch lachend die Tür auf und wäre dabei fast mit einer grauhaari gen Frau zusammengeprallt.
„Oh, Verzeihung”, sagte er eilig.
Die Frau setzte ein höfliches Lächeln auf, doch gleich darauf erkannte sie Frankie, und ihr Lächeln wurde breiter.
„Francesca Romano! Ich dachte es mir doch, dass du das bist.”
„Miss Bell!” rief Frankie aus und umarmte die Frau herzlich.
Clay begann sich zu entspannen. Wenn diese Begrüßung ein Indiz war, würde der Besuch hier zumindest nicht traumatisch verlaufen.
Addie Bell schaute über Frankies Schulter. „Und das ist dein Mann, nehme ich an?”
Frankie lächelte. „Ja, Ma’am. Clay, Miss Bell ist die Leiterin von Kitteridge House. Miss Bell, darf ich Ihnen meinen Mann Clay LeGrand vorstellen.”
Addie streckte die Hand aus und registrierte mit Wohlwollen Clays kräftigen Händedruck und seinen offenen Blick.
„Ich heiße Adeline”, sagte sie ohne Umschweife. „Aber Sie können mich Addie nennen.” Sie schaute wieder auf Frankie. „Als mich die Sekretärin informierte, dass eine Francesca Le Grand einen Gesprächstermin vereinbart hat, dachte ich mir gleich, dass du es bist. Wo lebst du jetzt?”
„In Denver”, erwiderte Frankie.
Addie nickte. „Das soll ja eine sehr schöne Stadt sein, wie ich ge hört habe, aber ich bin selbst nie dort gewesen. Und was führt dich nach Albuquerque, Liebes? Bist du beruflich hier oder privat?”
Da Addie Bell sie in der Vergangenheit nie im Stich gelassen hatte, fühlte Frankie sich sicher. Ihre Beklommenheit war verflo gen. Jetzt wollte sie nur noch ihre Geschichte erzählen und die Last mit jemandem teilen. Sie biss sich auf die Unterlippe, aber
auch dadurch konnte sie nicht verhindern, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.
„Ich weiß nicht, wie ich das, was mir passiert ist, einordnen soll, aber wir haben massive Probleme”, sagte sie.
Addies Lächeln verblasste ein bisschen. „Komm, lass uns in mein Büro gehen, dort sind wir ungestört. Ich bin mir sicher, dass wir alles aufklären können. Aber zuerst möchte ich hören, was du erlebt hast. Und zwar alles, von dem Moment an, in dem du dieses Haus hier verlassen hast.” Und mit einem Blick auf Clay fügte sie hinzu: „Nun, vielleicht nicht alles, aber du weißt schon, was ich meine.”
Anschließend ließ sich Frankie von Miss Bell an der Hand nehmen und den Flur hinunterführen, so wie es die ältere Frau in der Vergangenheit zahllose Male getan hatte. Clay ging hinter den beiden her und beobachtete, wie sich Miss Bell zu Frankie hi nunterbeugte, so, als wolle sie sich kein Wort entgehen lassen. Zuerst war ihm nicht klar, was dieses Bild nahe legte. Doch dann dämmerte es ihm.
Vertrauen.
Frankie brachte nur wenigen Menschen so viel Vertrauen ent gegen wie dieser Frau: Bei dieser Erkenntnis schwanden bei ihm auch noch die letzten Bedenken bezüglich ihrer Reise.
Zu behaupten, dass Addie Bell entsetzt war über ihre Geschichte, wäre milde ausgedrückt gewesen. Und doch war Francesca hier, und - soweit Addie es sehen konnte - so verängstigt wie eine Frau nur sein konnte.
„Großer Gott! Ist das wahr?” fragte Addie. „Zwei Jahre - und Sie haben keine Ahnung, wo man Sie hingebracht hat?”
Frankie ließ niedergeschlagen die Schultern hängen. An die sem Punkt fühlte sich Clay bemüßigt einzugreifen.
„Nein. Allerdings glaubt sie sich zu erinnern, dass es zum Zeitpunkt
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