Das Tattoo
sie missbil ligend den Mund. „Sogar dieser merkwürdige Junge. Hm … im Moment fällt mir sein Name nicht ein. Auf jeden Fall war er un ausstehlich, bis Francesca zu uns kam. Ein ausgesprochen schwieriger, zorniger Kerl. Aber die beiden schlossen rasch Freundschaft. Das war vielleicht ein Gespann, sie gerade mal vier und er fast schon ein Teenager. Diese Freundschaft hatte auf den Jungen eine ausgesprochen positive Wirkung, wenn auch nicht so durchschlagend, wie wir am Anfang gehofft hatten.”
In einem entlegenen Winkel von Francescas Bewusstsein regte sich etwas. Eine ganz schwache Erinnerung, aber sie bekam sie nicht zu fassen.
Clay hatte bemerkt, wie still sie plötzlich geworden war. Fast zu still. Er beugte sich vor und berührte sie sanft an der Schulter.
„Alles okay mit dir, Honey?”
Sie schrak zusammen. „Wie bitte, was ?”
Er runzelte die Stirn „Miss Bell hat eben über deine Freunde gesprochen. Erinnerst du dich in diesem Zusammenhang an ir gendetwas Bestimmtes?”
„Nein. Seltsamerweise erinnere ich mich nicht an diesen Jun gen.”
Addie Bell schaute sie ungläubig an. Zwischen ihren Augen brauen stand eine steile Falte. „Aber das kann doch nicht sein!”
„Leider doch. Ich weiß nichts davon, mit einem Jungen be sonders eng befreundet gewesen zu sein”, erwiderte Frankie.
Die Furche zwischen Addies Augenbrauen vertiefte sich. „Das begreife ich nicht. Als du älter wurdest, begannen wir uns wegen dieser Freundschaft zunehmend Sorgen zu machen. Er war regelrecht besessen von dir. Ich bekam fast Angst um dich.”
Frankie versteifte sich. „Sie meinen, Sie hatten Angst, er könnte mir etwas antun?”
„Nicht so wie du denkst”, gab Addie zurück. Gleich darauf wurde sie jedoch blass und murmelte: „Oh, Gott.”
„Was ist?” fragte Clay.
„Mir fällt da eben etwas ein.”
„Was denn?” fragte Frankie aufgeregt.
Addies Hände zitterten, als sie den Kragen ihrer Bluse zu rechtrückte. „Wahrscheinlich bedeutet es gar nichts”, sagte sie. „Ich bin mir sicher, dass ich da irgendetwas überinterpretiere. Außerdem ist das alles schon so lange her.”
„Bitte, Miss Bell, überlassen Sie es uns, das zu beurteilen”, bat Clay.
Addie presste die Lippen aufeinander.
„Du warst wirklich ein niedliches kleines Mädchen, und mit den Jahren wurde aus dir eine berückend schöne Frau, was sich, wie ich sehe, bis zum heutigen Tag nicht geändert hat.”
Frankie errötete.
„Dieser Junge … oh, warum kann ich mich bloß nicht an seinen Namen erinnern? Auf jeden Fall war er inzwischen volljährig.” Sie schaute zu Clay. „Alle unsere Kinder verlassen uns mit achtzehn, und er war schon seit einiger Zeit weg, aber er fand im mer wieder einen Grund herzukommen. Eine gewisse Zeit lang war er hier sogar als Gärtner beschäftigt. Uns ist erst zu spät klar geworden, dass er nur wegen Francesca die Nähe zu uns gesucht hat.”
Clay verspürte ein Kribbeln im Nacken. So eine Obsession war unnormal, besonders, wenn es sich um ein Kind handelte.
„Wie habe ich reagiert?” fragte Frankie.
„Nun, zuerst ganz normal und unbeschwert”, berichtete Addie. „Aber mit der Zeit fühltest du dich offenbar immer unwohler. Doch bevor wir Konsequenzen ziehen konnten, erschien er eines Tages plötzlich nicht mehr zur Arbeit. Kurz darauf erfuh ren wir, dass er bei einem bewaffneten Raubüberfall verhaftet worden war. Er wurde verurteilt und kam für einige Jahre ins Ge fängnis.”
Frankie beugte sich interessiert vor. „Sie meinen, ich habe ihn nie wiedergesehen?”
Addie zuckte die Schultern. „Oh, das weiß ich nicht, Liebes. Ich weiß nur, dass er nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis hier war und sich nach dir erkundigt hat.”
Sie rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum.
Als Clay das sah, wusste er, dass noch mehr kommen würde.
„Was ist passiert?” fragte er.
„Er ist förmlich ausgerastet, als er erfuhr, dass Francesca nicht
mehr bei uns war. Er warf Sachen auf den Boden und beschimpf te uns. Und dabei brüllte er die ganze Zeit, dass Francesca ihm gehöre.”
Frankie erschauerte. Wieder regte sich irgendetwas in ihrem Hinterkopf, etwas Dunkles, Hässliches.
Clay machte sich die ganze Zeit Notizen, um die Informatio nen später an Harold Borden weitergeben zu können.
„Sein Name, Miss Bell. Es wäre wirklich hilfreich, wenn Sie sich an seinen Namen erinnern könnten”, drängte er.
Addie nickte. „Ja, natürlich. Warten Sie, ich werde in meinen Unterlagen
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