Das taube Herz
Papier vorweisen? Hast du irgendeine Lizenz, die dich dazu ermächtigt, dich Horloger oder Horloger du Roy nennen zu dürfen? Entferne deine Unterschrift sofort aus allen Uhrwerken, die noch hier in der Werkstatt stehen, und zwar schleunigst! Sie bringt mich in den Verruf der Betrügerei und dich womöglich ins Gefängnis! Kein einziges meiner
Meisterstücke verlässt die Werkstatt ohne die Signatur eines anerkannten Uhrmachers, und schon gar nicht mit derjenigen eines Hochstaplers. Du bist Reparateur, mein kleiner Sovary, Mechaniker und Handlanger des Maître Falquet, nicht mehr und nicht weniger! Noch eine Signatur mit deinem Namen, und ich schick dich zurück in den jurassischen Wald zu deinem Vater und all den anderen Holzwürmern! Und nun an die Arbeit!«
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Stolz verkaufte Maître Falquet Créateur die Rose Blanche und andere seiner Schmuckstücke im großen Stil mit den vermeintlichen Uhrwerken aus den Häusern Jeanrichard und Jaquet-Droz in La Chaux-de-Fonds, Le Roy und Baillon in Paris, Arnold in London, Klein in Prag, Neumann in Dresden. Sogar von dem jungen Breguet aus Neuenburg, der eben kürzlich bei Berthoud und Lépine in Paris Anstellung gefunden hatte, mit dem man ihn, Jean-Louis Sovary, in Gerüchten verwechselt hatte, musste er Signaturen in Werke einbauen, von denen der angebliche Urheber kein einziges Teil weder selbst gebaut noch zusammengesetzt hatte. Dennoch standen die von Jean-Louis gebauten Fälschungen den Originalen in keiner Weise nach, im Gegenteil. Viele von ihnen waren robuster, genauer und vor allem von einer mechanischen Eleganz, die manchen ausgewiesenen Meister in Staunen und schiere Eifersucht versetzt hätten. Aber davon wussten weder die Besitzer noch die angeblichen Urheber der Werke etwas, denn welcher Großmeister gäbe sich die Blöße und schaute in das Räderwerk einer seiner eigenen, längst vergessenen Werke?
»Ich bin kein Reparateur, auch nicht Aushilfe oder Zuarbeiter des großen Maître Falquet«, trotzte Jean-Louis seinem Patron, »ich bin ein Fälscher. Was Sie hier als
Meisterwerke verkaufen, sind nichts weiter als pure Fälschungen. Früher war die innere Konstruktion Ihrer Schmuckwaren schlecht, heute ist sie gefälscht. Auch wenn meine Uhrwerke vielleicht sogar besser funktionieren als die Originale, so sind sie doch wertlos.« Aber das kümmerte Maître Falquet nicht, er hatte anderes im Sinn, als sich für die Innereien seiner Kunstwerke zu interessieren.
Nachts, während Maître Falquet an der äußeren Pracht seiner mit Uhren bestückten Hals- und Armbänder, an den Blechvögeln und Keramikblumen arbeitete, entwarf Jean-Louis Kalender und Mondphasenanzeigen, Glockenwerke und Figurenspiele, die er in Pendel- und Taschenuhren oder gar in Turmuhren einbauen wollte. Was Maître Falquet als statischen Schmuck kreierte, stellte Jean-Louis sich als animiertes Spiel vor, als bewegtes Spektakel, das die Aufmerksamkeit nicht nur durch den Anblick, sondern auch durch den Vorgang anzog. So wie Paul Irmiger Notizbücher mit Skizzen, Formeln und technischen Erklärungen gefüllt hatte, so schrieb Jean-Louis nun ganze Bücher voll mit Ideen von sich bewegenden Figuren und Tieren, schlagenden Glocken, pfeifenden Vögeln und wasserplätschernden Brunnen. Er hatte natürlich von den auf Glocken schlagenden Figuren gehört, die in Venedig oder Bern die Zeit angaben. Und in La Chaux-de-Fonds hatte er Musikdosen gesehen, auf denen sich schick gekleidete Puppen drehten, einen Arm über einer Laute bewegten oder mit dem Kopf nickten. In Paris sollte es gar einen mannsgroßen Flötenspieler geben, der, einmal in Gang gesetzt, mehrere Melodien blasen konnte. Jean-Louis hatte auch von einer künstlichen Ente gehört, die
herumwatscheln, Körner picken, diese verdauen und auskacken konnte. Warum diese Attraktionen nicht mit dem Nutzen einer Zeitangabe verbinden? Was waren all diese Animationen anderes, als in Puppen, Figuren und Tiernachbildungen eingebaute Uhrwerke?
Und so erhob Jean-Louis sich eines Nachts nach monatelangen Aufzeichnungen, Berechnungen und theoretischen Überlegungen und stahl sich barfuß und nur in Unterwäsche gekleidet von seiner Kammer hinaus durch den Garten ins Haus Falquet hinüber, drang dort mit längst angefertigten Schlüsselkopien in die dreifach verschlossene Werkstatt ein, tastete sich im Dunkeln an den Regalen entlang bis zur Werkbank des Maître, von dort zur linken Seite ab an die gegenüberliegende Wand, wo fein säuberlich nebeneinander
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