Das taube Herz
gut dünkenden und notwendigen Stoffen einen Automaten, der alles, was bisher geschaffen worden ist, in den Schatten stellt.«
14
Jean-Louis zitterte. Seine Hände und die Stirn waren schweißnass, und ihm war kalt. Sein ganzes Leben hatte er von einem solchen Auftrag geträumt, und jetzt hatte er Angst davor.
»Und was soll das für ein Automat werden?«, fragte er, ohne seine innere Verfassung zu verraten.
Montallier schob den mannsgroßen Sämann, die waschende Magd und den Harlekin etwas zur Seite und öffnete einen zweiten Schrank an der Seitenwand. Darin saß eine zierliche Frau in einem langen, ausladenden, reich bestickten, weißen Seidenkleid. Aufrecht saß die schöne Dame auf einem Stuhl, das blonde Haar kunstvoll hochgesteckt, die Arme über dem Schoß leicht angehoben. Das Porzellangesicht war so naturgetreu nachgebildet, dass Jean-Louis kurz den Eindruck bekam, sie sei aus Fleisch und Blut, bereit, sich zu erheben, sich grüßend an Montallier oder an ihn zu wenden. Montallier fasste den Stuhl an der Rückenlehne und zog die eindrucksvolle Dame aus dem Schrank heraus.
»Und nun pass auf, Sovary!«, rief Montallier aus und holte eine über einen Meter hohe und breite Holzkiste aus dem hinteren Teil des Raumes. Mit einem Kuhfuß brach er die vernagelten Bretter auf und warf sie zu Boden. Behutsam hob er den in feine Stoffballen verpackten Inhalt
aus der Kiste, stellte das Objekt auf den Tisch und nahm die Hüllen ab. Unter dem schützenden Stoff erschien ein abgedecktes Miniaturflügelpiano ohne Tastatur. Die Saiten lagen offen und spannten sich über das kleine, fein gearbeitete, geschwungene Möbel. Dahinter saß eine zierliche kleine Puppe, die der schönen Dame im Schrank erstaunlich ähnlich sah. Auch sie trug ein weißes, besticktes Kleid, die blonden Haare hochgesteckt, die Arme hielt sie über ihrem Schoß leicht angehoben. In ihren Händen steckten kleine, an Stäben befestigte Holzhämmer, bereit, auf Geheiß des Meisters ein Musikstück zum Besten zu geben. Die kleine Musikantin und ihr Instrument waren auf einen aus dunklem Holz gearbeiteten Holzkasten montiert. An der Rückseite dieses Kastens steckte Montallier einen langen Messingschlüssel in die Mechanik und spannte die Feder. Sogleich begann die kleine Dame mit den Hämmerchen in ausgeglichenen Rhythmen und koordinierter Abfolge auf die Saiten zu schlagen.
»Ein Menuetto von Christoph Willibald Gluck, dem Lieblingskomponisten Ihrer Majestät Marie Antoinette, Königin von Frankreich. Das Kleid der naturgroßen Nachbildung hier stammt übrigens aus der Garderobe der Königin höchstpersönlich, und das Haar ist ebenfalls jenes, das auf dem Kopf der erlauchten Dame über ein Jahr hinweg gewachsen ist. Der Hoffriseur hat mir den durchaus privilegierten Dienst erwiesen und diese außergewöhnliche Haartracht während den täglich verrichteten Toiletten der Königin aus den benutzten Bürsten und Kämmen zusammengesammelt, gegen skandalös hohe Bezahlung natürlich! Ich darf dir gar nicht verraten, mit welchen anderen pikanten Gegenständen aus der täglichen
Toilette der Königin der Hoffriseur sonst noch handelt! Ein wahrhaftig äußerst degoutantes Geschäft betreibt der mit Dingen, die wir normalerweise angeekelt von uns weisen!«
Schlagartig wurde Jean-Louis klar, warum das Porzellangesicht der großen Puppe vom ersten Augenblick an einen so starken Eindruck auf ihn gemacht hatte. Das Gesicht glich all den Abbildungen Marie Antoinettes, die er in Ferney in Email gemalt auf all den Taschenuhrendeckeln der Hugenotten gesehen hatte. Mit dem echten Haar, ihrem eigenen Kleid und dem blassen, wächsernen Gesicht konnte man fast glauben, die Königin höchstpersönlich sitze vor einem.
»Marie Antoinette selbst kann wohl kaum so gut Zimbal spielen wie dieser kleine Musikautomat hier. Gluck hatte sie in Gesang unterrichtet. Aber dann haben die beiden unkundigen deutschen Automatenbauer Kintzing und Roentgen sie an ein Zimbal gesetzt, und nun möchte die Königin einen solchen Automaten erwerben.«
Montallier zog den Schlüssel aus dem Kasten der Miniaturausgabe.
»Das ist das Original. Nach diesen Vorgaben habe ich hier ein Ebenbild von Marie Antoinette als bravouröse Zimbalspielerin gebaut. Die Mechanik wirst du der kleinen Vorlage hier nachbauen. Es wird eine Überraschung für die Königin werden, und nichts, kein anderer Automat, keine Maschine und kein Uhrwerk soll auch nur in die Nähe dieses vollendeten Kunstwerks der Mechanik
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