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Das Teehaus im Grünen

Das Teehaus im Grünen

Titel: Das Teehaus im Grünen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Scott
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Nase. Im einzelnen war alles in Ordnung, trotzdem besaß sie nicht die Schönheit ihrer Mutter, eine Schönheit, die dreiundvierzig Lebensjahre unzerstört überstanden hatte. Ebenso fehlte ihr Vickys anmutiger Liebreiz. Sie kam zu dem Schluß, daß in ihrem Gesicht irgend etwas fehlte, und schnitt sich selbst eine Grimasse.
    Die Sache mit Gordon war ein großer Fehler gewesen. Seit dem dummen Streit mit ihm waren nun schon Wochen vergangen, und er hatte nichts von sich hören lassen. Er hätte doch schreiben können, wenn er plötzlich hatte abreisen müssen. Wenn er sie auch nur ein bißchen liebhatte, hätte er nicht einfach aus ihrem Leben verschwinden dürfen. Die Wahrheit war demütigend: Er hatte sie gar nicht geliebt, nur sie war in ihn verliebt gewesen.
    Nicht genug damit; da war noch der fade Brent Windro. Der bildete sich ohne Zweifel ein, daß sie ihm seinen unpassenden Besuch schon längst vergeben hätte, und vertraute auf seinen gewinnenden Charme. Immer wieder rief er an, und schon der Gedanke an ihn verdarb ihr die Stimmung. Ich habe das alles so satt, dachte sie; am liebsten würde ich verschwinden, so wie Vicky.
    Aus dem Wohnzimmer hörte sie, wie ihre Freundin aufgeregt herumlief. Sie sah aber nicht nach, denn sie war an solche Stürme vor dem morgendlichen Aufbruch gewöhnt, das ständige Wehgeschrei, mit dem sie ihre Geldbörse zu suchen pflegte, oder den Lippenstift oder gar ihre Schuhe. Sie hatte gelernt, so etwas zu ignorieren.
    Aber jetzt horchte sie doch auf. Vickys Stimme klang erregt: »Wo sind sie denn nur? Ich habe sie irgendwo gut aufgehoben! Hinter der Uhr? Nein. Vielleicht unter der Keksdose... Sie können nicht weit sein. Ich weiß bestimmt, daß ich sie nicht verloren habe... Ich werde verrückt!«
    Augenscheinlich war es diesmal aufregender als sonst; aber was sie auch immer suchte, Vicky würde es doch schließlich entdecken und rufen: »Da sind sie ja! Ich wußte doch, daß sie gut aufgehoben sind.« Und das sagte sie jetzt auch, aber in einem so exaltierten Ton, daß Lucy rief: »Was ist denn los? Bist du bald fertig?«
    Keine Antwort. Dann ein leiser Schrei, und mit völlig veränderter Stimme rief Vicky: »Lucy, es ist unsere Nummer! Ja, wirklich! Ich hab es mir schon gedacht, denn es konnte doch nicht zweimal ein >Wahrheitssyndikat< geben. Hier ist der Schein — wir haben einen Haufen Geld gewonnen!«
    Im Wohnzimmer lag die Zeitung auf dem Fußboden; Vicky hockte darauf und wies mit zitternder Hand auf das Wort »Wahrheitssyndikat«, das neben dem zweiten Preis zu lesen war; daneben stand ihre Nummer.
    »Guck, da steht’s. Dreitausend Pfund für uns beide. Soviel Geld auf einmal!« Und sie konnte nicht anders: sie mußte weinen.
    Doch das dauerte nicht lange. Gleich danach mußte sie lachen, ein etwas hysterisches Gelächter. Zu ihrer Überraschung fühlte auch Lucy einen Anfall von Hysterie; streng sagte sie: »Nein, hör doch auf! Ich koche nochmal einen Kaffee. Wir dürfen uns nicht so gehen lassen.«
    »Wir kommen zu spät ins Büro.«
    »Wir rufen ein Taxi oder nehmen den Wagen. Das können wir uns schließlich leisten.«
    Über ihre Kaffeetasse hinweg blickten sie sich feierlich an, und Vicky sagte: »Denk nur — die Dollarnote... im Gulli... und jetzt sind wir reich!«
    »Kapitalisten! Aber immer noch berufstätig. So, trink aus; ich hole inzwischen den Wagen.«
    »Wenn wir den Schein nicht gefunden hätten... Soviel Geld... Gleich heute muß ich dem Mann im Kiosk etwas schenken.«
    Lucy stellte ihre Tasse beiseite; sie war froh, daß Vicky nicht merkte, wie ihr die Hand zitterte. Selbstbeherrschung war gut und schön — aber dreitausend Pfund! Das war mehr, als sie sich je erträumt hatte. Dank ihrer eisernen Sparsamkeit während der letzten vier Jahre hatte sie es fertiggebracht, auch außer den Geldgeschenken ihrer Eltern und Paten an den Geburtstagen und zu Weihnachten immer wieder etwas zurückzulegen. Ihr Bankkonto belief sich etwa auf sechshundert Pfund. Und nun besaß sie mit einem Schlag eintausendfünfhundert Pfund!
    Als sie im Auto saßen, fragte Vicky: »Was machst du mit deinem Anteil? Gehst du jetzt auf Reisen, um deine Mutter zu besuchen?«
    Am Klang ihrer Stimme merkte Lucy, daß ihre Freundin das am meisten fürchtete: das Ende ihres Lebens zu zweit. Aber Vicky besaß ja gleichfalls eintausendfünfhundert Pfund!
    »Ich weiß nicht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.« Aber eine innere Stimme sagte ihr: Geh weg von hier. Schau dir die Welt

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