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Das Teehaus im Grünen

Das Teehaus im Grünen

Titel: Das Teehaus im Grünen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Scott
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ihre Stellung auf gibt... Auf alle Fälle muß ich gleich zu ihr gehen und ihr alles erklären. Es wäre entsetzlich, wenn er etwas zu ihr sagte. Sie wird auch so schrecklich böse sein.
    Aber es war schon zu spät. Lucy war bei Mr. Sheldon zum Diktat; sie schreckte auf, als der Chef sich plötzlich unterbrach und sagte: »Sie hätten mieden wahren Grund erklären müssen, Miss Avery! Schließlich kennen Sie mich doch schon lange Zeit.«
    »Den wahren Grund?« Lucy wurde unbehaglich zumute; Vicky war eine ganze Weile allein bei dem alten Herrn gewesen.
    »Wegen des armen kleinen Dinges... Aber Sie sollten nicht verzweifeln. Sie kann wieder gesund werden.«
    Jetzt war Lucy wirklich verzweifelt; was war Vicky bloß wieder eingefallen? Um Zeit zu gewinnen, fragte sie: »Was hat sie Ihnen denn erzählt?«
    Er berichtete zögernd und mit viel Zartgefühl und meinte zum Schluß: »Es heißt ja, daß Tbc-Kranke häufig so eine durchscheinende Haut und so zarte Farben haben.« Da verstand sie endlich. Einesteils ärgerte sie sich, andernteils mußte sie erleichtert lachen; sie biß sich auf die Lippen. Ihn jedoch rührte diese Erregung einer sonst so selbstbeherrschten jungen Dame tief. Er klopfte ihr zwar nicht auf die Schulter, denn irgendwie paßte das nicht zu Miss Avery, aber er tröstete sie: »Sie sollten nicht so verzweifelt sein! Die Wissenschaft kann heutzutage wahre Wunder vollbringen.« Und in einer weniger edlen Anwandlung setzte er hinzu: »Sollten Sie einmal doch wieder frei sein... obwohl ich von Herzen wünsche, daß das noch lange nicht der Fall sein wird... aber wir hier würden Sie stets aufs herzlichste willkommen heißen.«
    Lucy bedankte sich höflich. Sie entfernte sich, so schnell es ging, und ließ dann auf Vicky in der Telefonzentrale ein wahres Donnerwetter niedergehen. Diese duckte sich förmlich und brachte zum erstenmal keine Entschuldigung heraus.
    »Es tut mir wirklich leid, Lucy. Es... es rutschte mir so raus! Es war mir so arg, daß er so traurig war.«
    »Das sagst du immer. Wenn du nicht damit aufhörst, wirst du dir selbst und anderen noch den größten Schaden zufügen.« Vicky sah so reuevoll und beschämt aus, daß sie ihr doch leid tat. »Man kann es dir einfach nicht austreiben«, fuhr sie fort. »Warum hast du eigentlich mit diesen Schwindeleien angefangen? Du hast es schon getan, als ich dich kennenlernte.«
    Vicky zögerte. »Ich glaube, es kam davon, daß ich mich so einsam fühlte. Ich war sieben Jahre, als meine Mutter starb. Vater war viel unterwegs, und zu meinem Vergnügen dachte ich mir nette Geschichten aus. Die erzählte ich den anderen Kindern in der Schule, und die hielten sie für wahr.«
    »Aber es sind nicht nur harmlose Geschichten. Oft verdrehst du die Wahrheit.«
    »Ich weiß. Später fand ich heraus, daß die Leute einen lieber mögen, wenn man ihnen etwas Nettes sagt, ob es nun wahr ist oder nicht... Und ich wollte so gern, daß sie mich mögen. Es wurde schließlich wie ein Spiel. Es war drollig festzustellen, wieviel die Leute gläubig hinnahmen.«
    Lucy schwieg. Im Geist sah sie das kleine, einsame Mädchen, das mit einem charmanten, aber wenig pflichtbewußten Vater in einem alten Haus wohnte und so gern geliebt werden wollte. Und dann war da noch das allzu weiche Herz, das es nicht ertragen konnte, jemanden zu kränken. Es war nur zu verständlich, daß das Kind sich angewöhnte, stets nur Nettigkeiten zu sagen, ganz ohne Rücksicht auf die Wahrheit.
    Sie seufzte und vergaß ihren Ärger; sie sagte nur: »Na ja, das ist lange her. Du solltest jetzt endlich erwachsen werden!«
     
     
     

5
     
     
    Die Mädchen blickten auf das Chaos ringsum; sie seufzten und lachten dann.
    »Das hätten wir geschafft! Jetzt sind wir hier«, stellte Lucy fest. Für eine junge Frau, die ihre bisherige Existenz im Stich gelassen hatte, fühlte sie sich unglaublich wohl. Sie mühte sich mit einem großen Koffer ab, den sie in den Gepäckraum ihres kleinen Wagens gezwängt hatte. Plötzlich gab er nach und fiel ihr auf die Füße. Sie fluchte leise und mußte gleich wieder lachen.
    Vor drei Wochen hatten sie den Kaufvertrag unterzeichnet; das viele Geld war für immer dahin, und sie hatten sich verpflichtet, in den nächsten fünf Jahren James Seymour hundert Pfund jährlich an Zinsen zu zahlen. Vor zehn Tagen erst hatten sie die Anwaltskanzlei von Mr. Sheldon verlassen; es kam ihnen aber viel länger vor. Man hatte Abschied von ihnen genommen, sie im stillen bedauert. Lucy

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