Das Teehaus im Grünen
zu ehrlich, das ist der Haken bei ihm. Und außerdem so schwermütig, daß meine Frau meint, er könnte jeden Moment in Tränen ausbrechen. Aber er wird für Sie tun, was er kann. Die Leute werden sich für Ihr Unternehmen sehr interessieren... Aber jetzt muß ich zu meinen Schafen. Nan wird bestimmt bald bei Ihnen reinschauen.«
Als er gegangen war, meinte Lucy nachdenklich: »Wie nett die Nachbarn auf dem Lande sind! In der Stadt würde kein Mensch daran denken, einem zu helfen oder nach einem zu fragen. Es macht einem richtig Mut, besonders wenn sie auch noch den Tea-Room unterstützen.«
»Der Eröffnungstag wird sicherlich sehr aufregend.«
»Wenn wir auf die Gäste warten, die nicht kommen, so daß wir am Ende unsere Kuchen selber essen müssen... Ach, macht nichts! Für eine ganze Weile haben wir genug zum Leben. Und dann werden wir schon sehen, ob es klappt oder nicht.«
Dann machte sich Lucy ans Auspacken. Dieser ganze Wechsel war vielleicht doch unklug gewesen, überlegte sie. Aber ihr tat er sicherlich gut. Tatsächlich hatte sie seit zwei Stunden keinen einzigen Gedanken an Gordon verschwendet. Nun würde sie bald von ihm geheilt sein.
»Ach du liebe Güte!« rief da Vicky. »Eines hab ich ganz vergessen!«
»Was denn?«
»Deinen Verehrer Brent Windro.«
»Das macht nichts. Den sind wir los, wenigstens bis er meine jetzige Adresse herausfindet.«
»Du bist ihn für immer los. Gestern abend hab ich ihn erledigt.«
»Wie hast du denn das fertiggebracht?«
»Das ging ganz leicht, obwohl er mir leid tat. Er hatte so eine nette Stimme und war einfach niedergeschmettert, als ich ihm erzählte, du wärest nach England abgereist.«
»Was hast du ihm erzählt?«
»Naja, ich wußte natürlich gleich, wer er ist, als er anrief. Ich sagte einfach, du wärest nach England zu deiner Mutter gefahren, und es hätte keinen Zweck, wieder anzurufen.«
»Schon wieder eine von deinen unnötigen Lügen. Warum hast du denn nicht gesagt, daß ich nichts mehr von ihm wissen will?«
»Das wäre doch grausam gewesen. Jedenfalls hat mein kleiner Schwindel seinen Zweck erreicht; er sagte erst mal gar nichts, und dann murmelte er in einem ganz komischen Ton: >Danke<, und hängte ein... Wo sollen wir jetzt deinen Schreibtisch hinstellen?«
Eine Woche lang gab es noch viel Arbeit, aber auch viel Hilfe von seiten der neuen Nachbarn; dann war das Haus in Ordnung. Die Möbel aus der Stadtwohnung und die, die sie in Homesward gekauft hatten, standen an ihrem Platz. Schon am zweiten Tag war Nan Chisholm erschienen; sie war voller Arbeitseifer und zog mit einem großen Stoffballen wieder ab, um daraus Gardinen zu nähen. Sie war ein schlankes, zartes Geschöpf, nicht ausgesprochen hübsch, aber ihre schönen dunklen Augen hatten einen scheuen und fast flehenden Ausdruck. Vicky schloß sie gleich ins Herz, Lucy mochte sie auch gern, wenngleich mit einigen Vorbehalten. »Sie ist lieb und freundlich, aber schrecklich ängstlich. Ich möchte nur wissen, warum.«
Später stellten sie fest, daß der Grund dazu in der sehr strengen Erziehung durch ihren herrschsüchtigen Vater lag, der mit seinen lächerlichen Prinzipien ein wahrer Tyrann gewesen war. »Daheim waren wir zu fünft; wir mußten alles tun, was Vater sagte, aber wir hatten trotzdem viel Spaß miteinander. Ich vermisse meine Leute schrecklich, obwohl ich die Jüngste war und ein wenig abseits gestanden hätte, wenn Dan nicht gewesen wäre.«
»Wer ist Dan?« fragte Vicky, die immer gern bis in alle Einzelheiten Bescheid wissen wollte, wenn sie jemanden gut leiden konnte.
»Dan ist der eine von zwei Vettern, die nach dem Tod ihrer Eltern meistens bei uns wohnten. In allen Ferien kamen sie zu uns und waren eigentlich wie unsere Brüder. Tom ging nach Kanada, aber Dan ist noch hier, in Homesward. Er arbeitet bei Mr. Seymour, dem Rechtsanwalt, dem früher dieses Haus gehörte. Er ist genauso alt wie ich, nämlich zweiundzwanzig. Daheim lachten sie immer über unsere Namen — Nan und Dan — , und wir beide steckten immer beisammen. Ich hätte es so gern gehabt, daß er bei uns wohnte und jeden Tag nach Homesward zur Arbeit gefahren wäre, aber irgendwie...«
Lucy unterdrückte ein Lächeln. Welcher Ehemann — und gar einer, der viel älter als seine Frau und erst seit einem Jahr verheiratet war! — würde wohl sein Heim mit einem jungen Vetter teilen wollen!
Sie wechselte das Thema und fragte nach dem Dorfladen.
»O ja, da müssen Sie hingehen und Len kennenlernen.
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