Das Teekomplott - Ostfrieslandkrimi
dem
Hofgelände standen. Auf den Gepäckträger hatte sie einen Teddybären geklemmt.
Die Kleine brabbelte und sang fröhlich vor sich hin und schien bester Laune zu
sein. Im Garten des Bauernhauses gegenüber waren zwei Kinder in die dichte
Baumkrone einer mächtigen Ulme geklettert und irritierten die vereinzelt
vorbeikommenden Passanten mit Rufen und Schreien, woraufhin sich diese
umschauten, mit verwirrtem Gesichtsausdruck nach der Quelle der Laute suchten
und dann kopfschüttelnd ihren Weg fortsetzten.
Büttner beneidete die Kinder um
ihre Unbeschwertheit, die sich auch nach drei grausamen Morden in ihrem Dorf
ganz offensichtlich nicht erschüttern ließ. Für die Kinder waren diese drei
alten Menschen nun ganz einfach nur tot, ihr eigenes Leben blieb davon
unberührt. Für Büttner aber waren sie ein Problem, das er zu lösen hatte. Denn
es war keineswegs auszuschließen, dass der Mörder wieder zuschlagen würde. Und
das musste er, Büttner, verhindern. Aber wie? Trotz der interessanten
Informationen, die er von den beiden älteren Damen im Emder Café am Stadtpark
bekommen hatte, trat er nach wie vor auf der Stelle. Soeben war er erneut bei
Fenna Krayenborg und Edith Schepker gewesen und hatte sie mit seinem neuen
Wissen über die Geschehnisse von 1949 konfrontiert. Aber auch das hatte die
alten Frauen nicht dazu veranlassen können, den Mund aufzumachen. Ganz im
Gegenteil hatten sie die Lippen zusammengepresst und ihm kopfschüttelnd
bedeutet, nicht weiter in sie zu dringen. Sie hatten offensichtlich Angst.
Angst davor, genauso zu enden wie ihre Gatten.
Und dann war der Anruf gekommen.
Ein völlig aufgelöster Rudolf Lampe hatte ihm mit zitternder Stimme gebeten,
sofort bei ihm vorbeizukommen. Der alte Stammtischler wohnte unweit der Kirche
auf der Warf und hatte in seinem Gemüsebeet eine grausame Entdeckung gemacht.
Irgendwer hatte in der Nacht neben seiner eigenen eine weitere Vogelscheuche aufgestellt,
die nun mit ausgestrecktem, blutrotem Finger, der ganz offensichtlich aus dem
Zacken einer hölzernen Forke angefertigt worden war, auf sein Haus deutete. Das
alleine hätte sicherlich schon genügt, den Mann in Angst und Schrecken zu
versetzen. Doch hatte sich der Erbauer mit diesem Detail nicht begnügt, sondern
der Vogelscheuche darüber hinaus die Kleider des toten Gustav Grensemann
angezogen, die seit dem Fund der Leiche auf dem Friedhof nicht auffindbar
gewesen waren. Außerdem hing der Kopf der Vogelscheuche an einer Seite schlaff
herunter, was wohl den Eindruck erwecken sollte, als sei sie geköpft worden,
denn aus dem Kopf heraus hingen blutrote Wollfäden.
Da hatte sich jemand besonders
viel Mühe gegeben, dachte Büttner – und die erwünschte Wirkung damit erzielt:
Aus Rudolf Lampe war kein Wort herauszubekommen. Wie ein Häufchen Elend hatte
er in einem Sessel in der Ecke seines Wohnzimmers gekauert, seine Gesichtsfarbe
hatte sich der Farbe der hell gestrichenen Wand bedenklich angenähert. Der alte
Mann hatte so gezittert, dass Büttner einen Notarzt geordert und ihm eine
Beruhigungsspritze hatte verpassen lassen. Die Leute der Spurensicherung waren
gekommen, hatten das gesamte Grundstück nach Hinweisen durchkämmt und sich dann
einen Spaß daraus gemacht, die Vogelscheuche auf den Rücksitz ihres Fahrzeugs
zu setzen, um sie im Präsidium genauer zu untersuchen. Büttner hatte sich trotz
der angespannten Stimmungslage ein Grinsen nicht verkneifen können, als der
Polizeiwagen mit einer aus stumpfen Apfelaugen glotzenden Vogelscheuche an ihm
vorbeigefahren war. Wenn es ein blöder Zufall wollte, hatte er bei sich
gedacht, würde auf dem Weg ins Revier irgendein Passant ein Foto von dem
ungewöhnlichen Fahrgast machen und es auf Facebook einstellen. Oder sogar an die
Presse verkaufen. Aber das sollten die Jungs und Mädels von der Spusi dann
selber ausbaden, damit hatte er nichts zu tun.
Er hatte Hasenkrug losgeschickt,
um die Nachbarn zu befragen, während er selbst sich auf den Baumstumpf gesetzt
und sein Wurstbrot ausgepackt hatte. Auf dem kaute er nun mehr oder weniger
genüsslich herum, während er das Treiben in dem kleinen Dorf beobachtete. Er
hatte keine Ahnung, wie es jetzt weiter gehen sollte. Mit viel Glück würde die
Spusi an der Vogelscheuche irgendetwas finden, was auf den Erbauer hindeutete.
Und Büttner war sich ziemlich sicher, dass er damit auch den Mörder hätte. Aber
an so viel Glück glaubte er nicht. Er würde weiterermitteln müssen. Aber wo, in
aller Welt, sollte
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