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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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wo über einem Haie und Schildkröten vorbeischwimmen und Fischschwärme umherflitzen. Dort gibt es Lebewesen, von deren Existenz man nie geträumt hat. Am schönsten aber ist die Seepferdchensammlung.
    Mit ihren Drachenköpfen und dem zierlichen Körper einer Meerjungfrau bewegen sie sich aufrecht durchs Wasser und wirken so tapfer! Dad und ich schauten ihnen endlos lange zu. Die Aquarien mit den verschiedenen Arten wie dem Dickbauchpferdchen, dem Dornigen Seepferdchen und dem Seedrachen nehmen eine ganze Wand ein. In einem Becken war ein schwangeres Männchen, das bald Babys bekommen würde, in einem anderen ein Paar, das einen Paarungstanz aufführte, die Schwänze liebevoll ineinander verschlungen.
    Dad und ich staunten darüber, dass das Männchen die Kinder austrug – ich fragte mich, ob dies die evolutionäre Antwort auf eine Gefahr war, die vor Millionen Jahren die Art bedroht hatte. Vielleicht wurden die schwangeren Weibchen angegriffen oder sind krank geworden. Dad erklärte mir, dass die männlichen Seepferdchen nicht richtig schwanger würden, denn die Eier würden wie die meisten Fischeier außerhalb des Körpers befruchtet. Der Vater verwahrt die Eier in einem Beutel, wo sie reifen. Offenbar verbessert das ihre Überlebenschancen.
    Dad und ich dachten beide an die tiefgefrorenen Embryos, die man Leihmüttern einpflanzen und gegen MTS impfen kann. Das ist genau das Gleiche. Es sichert uns eine Überlebenschance. Schlagartig wurde mir klar, wie erstaunlich klug das war. Die ungewöhnlichen Eigenschaften der Seepferdchen mussten sich im Verlauf von Jahrtausenden herausgebildet haben, während wir Menschen so viel wissen, dass wir innerhalb von Tagen beschließen können, unsere Kinder auf andere Weise auszutragen. Ich schaute sie an und begriff, wie wunderschön und klug und erfinderisch die Menschen sind.
    Es war, als gelangte ich aus einem dunklen Tunnel in den Sonnenschein. Als hätte mein Gehirn sich von innen nach außen gewendet, und ich wäre auf einmal sehend geworden und hätte begriffen , was für eine tolle Sache der Impfstoff war. Auf einmal verstand ich, dass Dad zu Recht glücklich war! Die Forscher hatten ein Mittel gefunden, der Menschheit das Überleben zu sichern.
    Nach den Seepferdchen schauten wir uns die Rochen an. Sie liegen flach wie ein Teller am Boden, dann läuft eine Wellenbewegung durch ihre Flossen, und sie gleiten durchs Wasser wie Vögel durch die Luft. Ihr Körper ist in wogender Bewegung, als wären sie selbst Wellen. Und sie haben sogar zwei Möglichkeiten entdeckt, ihre Jungen zu schützen; einige Arten behalten die Eier im Körper und bringen ihre Jungen lebend zur Welt; andere produzieren Eier in einer gummiartigen braunen Umhüllung, die ich immer für Seetang gehalten habe. Meerjungfrauentaschen. Eine Zeitkapsel, die die Jungen an einen sichereren Ort trägt.
    Dad und ich schauten noch immer den Rochen zu, als Mum dazukam und uns fragte, ob wir wüssten, wie spät es sei. Sie hatte ihren Rundgang längst beendet und im Café auf uns gewartet. Dad schlug ihr vor zu shoppen, während wir uns die übrigen Aquarien anschauten, und das ärgerte sie. »Wieso geht ihr beiden dann nicht alleine aus? Weshalb schleppt ihr mich überhaupt mit?« Mit klackernden Absätzen stolzierte sie davon. Dad wollte ihr nachlaufen, doch sie marschierte geradewegs durch das Drehkreuz nach draußen.
    Als wir uns den Stempel für erneuten Eintritt hatten geben lassen, war sie verschwunden. Draußen war es kalt und grau, die Betonbauten und das Pflaster reflektierten grell das Licht. Dad trat an den Kanal und rief sie an. Ich stand im Eingang und blickte sehnsuchtsvoll ins schummrige Innere. Aber wir mussten aufbrechen und uns mit Mum zum Lunch im Pub an der anderen Seite des Kanals treffen. Der Pub war neu und schlecht besucht, geschmückt mit einem armseligen Lamettabaum und einem Haufen von in Geschenkpapier eingewickelten Kartons davor. Mum kämmte sich das Haar und legte frischen Lippenstift auf; sie sah elend aus. Ich bestellte Tomatenmozzarella und ein Baguette mit Basilikum; als ich Garnelen und Thunfisch mit Käse auf der Karte entdeckte, hätte ich am liebsten gar nichts gegessen. »Was fandest du denn so faszinierend?«, fragte sie schließlich.
    »Die Seepferdchen«, antwortete ich.
    »Was ist damit?«
    »Der Vater brütetet die Jungen aus. Wie bei den tiefgefrorenen Embryos, die von Leihmüttern ausgetragen werden.«
    »Das funktioniert nicht«, meinte sie.
    Dad brachte die

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