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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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verurteilen.«
    »Du meinst, wie die jungen Männer, die in den Krieg ziehen? Die man bittet, für ihr Land das denkbar größte Opfer zu erbringen?«
    »Der Tod eines Soldaten ist nicht gewiss . Er ist nicht nur ein passives Opfer.«
    »Häufig schon. Hast du schon mal den Begriff …«
    »Nein«, sagte Mum. »Und ich will ihn auch nicht hören.«
    »Die Mädchen, die sich freiwillig melden, wären Heldinnen. Wir müssen sie zum Selbstopfer ermutigen.«
    Als wir mit dem Zug nach Hause fuhren, schaute ich durch die Spiegelungen im Fensterglas zu der dunklen Landschaft hinaus. Ich wusste, mein Dad hatte recht. Es wäre eine wundervoll mutige Tat, sein Leben für ein MTS -freies Kind zu opfern. Und damit einen Weg in die Zukunft zu ebnen. Er hatte es selbst gesagt, und er hatte recht. Da war nicht dran zu rütteln.
    Es dauerte jedoch noch eine Weile, bis ich mich intensiver damit beschäftigte. In dem Moment stellte ich mir ferne, leuchtende, heroische Mädchen vor. Mädchen, die mein Dad rühmen und preisen würde, Mädchen, die dazu beitrugen, die Welt zu retten. Sie waren helle, weit entfernte Sterne, wie Filmstars.
    Ich hingegen musste mich mit meinem eigenen geschäftigen, beschwerlichen Leben auseinandersetzen. Und mit Baz. Aufgrund seiner Reaktion auf den Vorfall mit Iain wusste ich, dass er mich mochte. Die Art und Weise, wie er mich nach Sals Vergewaltigung ansah, war rührend. Ich wusste, er war nicht schwul, das zu glauben, war dumm von mir gewesen. Aber jetzt, da wir nicht mehr zu den YOFI -Treffen gingen, sahen wir einander kaum noch. Eines Nachmittags passte ich ihn nach dem College ab und fragte ihn, ob ich ihn zu sich nach Hause begleiten könne. Da sein Vater seine Gemeinde verloren hatte, saß er die ganze Zeit nur herum und starrte ins Leere wie an dem Tag, als ich dort war. Er verbot Baz’ Mutter, zur Kirche zu gehen, was sie ärgerte, denn sie war fromm, und er meinte, es sei Gottes Wille, dass die Welt untergehe. Er sagte, das Ende sei nah, und uns bliebe nichts anderes mehr zu tun, als unseren Geist zu läutern. Er wollte, dass sie den ganzen Tag lang bei ihm saßen und auf das Ende warteten. Da Baz’ Mutter Lehrerin war, musste sie arbeiten gehen. Er aber schloss sie im Schlafzimmer ein, sodass sie aus dem Fenster klettern musste; einmal fesselte er sie an den Handtuchhalter, und sie musste warten, bis Baz vom College heimkam und sie losmachte. Er schimpfte mit Baz, wenn er ausging, und auch dann, wenn er auf seinem Zimmer übte.
    »Aber er versucht nicht, mich herumzuschubsen so wie Mum«, sagte Baz. »Vielleicht hat er Angst, ich könnte ihn schlagen.«
    Seine Mum hatte davon gesprochen, den Arzt zu holen, und sein Dad hatte erwidert: »Wenn ein Arzt durch diese Tür kommt, bringe ich ihn um.« Baz und seine Mutter unterhielten sich im Flüsterton darüber, was zu tun sei, doch sein Dad rückte ihnen auf die Pelle und beobachtete sie umso argwöhnischer.
    »Er schläft nicht mal mehr«, erzählte Baz. »Wenn man nachts sein Zimmer betritt, sitzt er im Dunkeln da wie eine schmutzige alte Spinne und starrt vor sich hin.« Das Einzige, was er Baz’ Mutter erlaubte, war, laut aus der Bibel vorzulesen oder im Haus sauber zu machen. Baz traute sich nicht wegzugehen, weil er Angst um sie hatte.
    »Du musst Hilfe holen. Er ist psychisch krank«, sagte ich.
    »Ja, aber …« Baz hörte auf, mit den Fingern zu trommeln, als fiele es ihm dann leichter, Worte zu finden. »Er ist nun mal, wie er ist. Das ist jetzt sozusagen sein Wesen. Er macht sich einfach nichts mehr aus anderer Leute Meinung.«
    »Wie meinst du das?«
    »Er hat Mum immer schon Vorschriften gemacht. Uns beiden. Man musste zur Sonntagsschule gehen, man musste im Haus herumschleichen, wenn er mit dem Herrn Zwiesprache hielt, man musste springen, wenn er es verlangte. Und wenn man sich widersetzte, wurde er böse.«
    »Gewalttätig?«
    »Nein. Aber schon früher wurde er fuchsteufelswild, wenn Mum zu spät von der Schule heimkam oder wenn sie nicht gleich alles stehen und liegen ließ, wenn er etwas von ihr wollte. Nicht nur zornig, sondern rasend. Stundenlang.«
    »Schon vor dem Ausbruch von MTS ?«
    »So war er schon immer. Sein Leben lang hat er von anderen Menschen erwartet, dass sie tun, was er sagt. Deshalb hat er auch seine Gemeinde verloren, denn die wollte sich nicht vor ihm niederwerfen.«
    »Du musst mit jemandem sprechen.«
    »Er ist schlau. Das würde er mir niemals verzeihen. Außerdem könnte er es jederzeit an Mum

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