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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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Mum möchte das. Sie kennt jemanden, der mich mitnehmen kann. Aber warten wir’s ab.« Alles, was Sal sagte, klang irgendwie gereizt. Ich erkundigte mich nach ihrem kleinen Cousin, doch den hatte man immer noch nicht gefunden. Ich sagte, ich müsse gehen. »Du solltest auch nach Glossop kommen. Mach bei FLAME mit. Du könntest die Botschaft unter den Studentinnen verbreiten, bei den Verrückten, die überlegen, sich freiwillig zu melden.«
    Ich sagte ihr, ich wolle drüber nachdenken. Als wir nach unten gingen, sagte sie: »Es ist hier nicht mehr wie früher.« Die Tür zum Wohnzimmer stand weit offen, und wir schauten beide hinein. Es war sauber und aufgeräumt, doch ich erinnerte mich noch gut, wie es an jenem Abend ausgesehen hatte, mit den Fast-Food-Tabletts, den Bierdosen, den Flaschen und dem Geruch. »Ich habe Albträume«, sagte sie. »Vielleicht hören sie auf, wenn ich in einem anderen Haus wohne.«
    »Ach, Sal …« Wir umarmten uns am Fuß der Treppe, und ich bekam feuchte Augen. Ich hätte sie gern aufgemuntert, doch das Einzige, was mir einfiel, war das, was sie verabscheute. Ich hatte nichts anderes im Kopf als »Bitte lass es enden, bitte lass es bald enden«. Wie ein im Viehtransporter eingepferchtes Kalb auf dem Weg zum Schlachthof.
    Ich schlich mich nach unten und checkte um sechs Uhr morgens, bevor Mum aufstand, meine E-Mails. Dad hatte noch nicht geantwortet, doch ich wusste, er würde sich melden. Ich wollte ihm Zeit lassen bis zum Abend. Ich frühstückte mit Mum, und sie berichtete mir, dass es Mandy viel besser gehe und dass Paul der Pfleger anscheinend wahre Wunder bewirke. Als sie zur Arbeit gegangen war, machte ich mich fertig fürs College. Ich hatte das Gefühl, ich müsse platzen, wenn ich es nicht bald jemandem erzählte, aber solange Dad nicht auftauchte, wollte ich nicht mit Mum reden. Sal kam nicht infrage; Baz hatte genug Sorgen mit seinen Eltern und Nats dummen Plänen; und Dad – weshalb meldete er sich nicht? Würde er überhaupt nicht mehr heimkommen? Was wäre, wenn wir heute Abend tatsächlich zur Polizei gehen müssten? Ich rief mir mein Vorhaben in Erinnerung. Panik und Erleichterung, Panik und Erleichterung, beide Gefühle wechselten sich bei mir ab, als würde elektrischer Strom an- und abgeschaltet.
    Draußen war gefrierender Nebel, der im Mund nach schalen Eiswürfeln schmeckte. Alle Geräusche waren gedämpft. Ich hatte keine Lust, zum College zu fahren. Es musste doch jemanden geben, mit dem ich reden könnte, und wenn ich schon mein Geheimnis nicht preisgeben wollte, wollte ich wenigstens ein bisschen plaudern.
    Mir fiel Mandy ein. Sie würde sich wenigstens freuen, wenn ich sie besuchte. Und sie wusste über Mums Affäre Bescheid; ich könnte sie wegen Dad um Rat fragen. Ich ging an der Bushaltestelle vorbei zur Hauptstraße, wo nacheinander mehrere Rettungswagen mit Blaulicht aus dem Nebel auftauchten. Wenn nun Dad in einem davon läge? Ich fuhr mit dem Bus zu Mandy.
    Die Vorhänge an ihrem Haus waren noch zugezogen, obwohl es schon nach neun war. Wenn es ihr so viel besser gegangen wäre, dann hätte sie um diese Zeit doch bestimmt nicht mehr im Bett gelegen? Einen Moment lang bedauerte ich, hierhergefahren zu sein. Doch ich sagte mir, sei nicht blöd, marschierte zur Haustür und klingelte. Offenbar hatte sie im Flur gewartet, die Hand auf der Türklinke, denn sie machte sofort auf. Ihr Haar war schimmernd schwarz, und sie hatte sich stark die Augen geschminkt, wie ich es an ihr so gemocht hatte, als ich noch klein war – dunkle Kajalringe und jede Menge Mascara. Sie schien überrascht, mich zu sehen, und spähte hinter mich in die weiße Suppe. »Ich bin allein gekommen«, sagte ich. »Mum ist auf der Arbeit.«
    Sie hielt mir die Tür auf, und da stieg ich die Treppe hoch. Es duftete nach brennenden Räucherstäbchen. Im Haus war es gemütlich und aufgeräumt. Im Wohnzimmer brannten Kerzen, gedämpfte Sitarmusik war zu hören. Die türkisfarbenen Wände schienen zu leuchten. Vielleicht hatte sie meditiert. Yoga war eine der wenigen Marotten, über die Mum niemals klagte. Sie folgte mir ins Wohnzimmer.
    »Willst du ausgehen?«, fragte ich. »Du siehst fantastisch aus.«
    »Wie spät ist es?«
    »Halb neun.«
    »Da hab ich noch ein bisschen Zeit. Möchtest du etwas trinken?«
    Wir gingen in die Küche, und sie machte Tee. »Also, was führt dich an einem Dienstag zu so früher Stunde zu mir? Solltest du nicht im College sein?«
    »Hat Mum dir nichts

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